In diesen bewegten Tagen mit Adam Fischer nur über die Musik zu sprechen, ist undenkbar. Der ungarische Staatsbürger stammt aus einem Land, das die Nachrichtenlage beherrscht. Fischer, der sich als Künstler, als politischer Mensch versteht und öffentlich gegen Antisemitismus und Xenophobie eintritt, hat, wie er sagt, »kriegsähnliche Zustände« miterlebt, als er im September auf dem Weg nach Budapest die österreichisch-ungarische Grenze passierte. Er kam aus dem burgenländischen Eisenstadt, wo er die von ihm gegründeten Haydn-Festspiele geleitet hatte.
Dirigieren gegen Feindbilder
Schockierend seien für ihn die Szenen gewesen, zynisch empfindet er es, wie die Regierung seiner Heimat noch die Stimmung aufheizt und Feindbilder schürt. Natürlich hat Fischer überlegt, mit seinen Möglichkeiten Zeichen der Anteilnahme zu setzen. Momentan aber glaubt er, dass es kurzfristig den Flüchtlingen wenig helfen würde, für sie Beethoven zu dirigieren. Auch den Plan für ein Chorsingen mit Flüchtlingskindern hat er verworfen. »Vielleicht werde ich eher musikalische Projekte dort auf die Beine stellen, wo die Asylanten ein neues Zuhause gefunden haben«.
Politisch motivierte Konzerte hat der 1949 in Budapest geborene, heute auch in Hamburg lebende Musiker häufig gegeben. Etwa im Mai 2014 in Düsseldorf, als er mit den Düsseldorfer Symphonikern bei Mozarts Requiem an die in der NS-Zeit verfolgten Sinti und Roma erinnerte. Aus der ersten Begegnung zwischen dem Traditionsorchester und einem Dirigenten, der namhafte Klangkörper in Wien, Paris, London und den USA geleitet hat, wurde eine feste Verbindung. Seit der neuen Saison 2015/16 ist Fischer Erster Konzertdirigent, wie es offiziell heißt: »Principal Conductor«. In den kommenden fünf Jahren will man sämtliche Symphonien von Gustav Mahler erarbeiten und aufführen. Und in jeder Saison mit einem Sonderkonzert Flagge zeigen: Im März 2016 wird Brahms’ »Deutsches Requiem« am Tag der Frau stattfinden.
Von der Scala bis zur MET
Mit Adam Fischer landen das Städtische Orchester und Intendant Michael Becker einen Coup. Gehört er doch zu den weithin gefragtesten Konzert- und Operndirigenten, der seit 40 Jahren an ersten Adressen auftritt, an der Mailänder Scala, der New Yorker MET oder in Bayreuth, wo er für seinen »Ring des Nibelungen« 2001 vom Fachorgan Opernwelt zum Dirigenten des Jahres gewählt wurde. Auch im Konzertbetrieb garantiert der 66-Jährige ansteckende Musizierfreude wie gehaltvolle Auseinandersetzung mit den Klassikern.
Seine Beschäftigung mit dem kompletten, über hundert Sinfonien umfassenden Orchesterschaffen von Joseph Haydn hat nicht nur Fischers Verständnis für andere Komponisten verändert. Die Gesamteinspielung mit der Österreichisch-Ungarischen Haydnphilharmonie (parallel zum Haydn-Festival gegründet) revidierte entschieden das Bild vom braven »Papa Haydn«. Fischer: »Seine Musik ist für jeden Interpreten eine riesige Herausforderung, da Haydn so irrsinnig viele Ideen und Einfälle hatte.« Schon in seiner Budapester Jugend ließ sich Fischer von Haydn infizieren. 1987 dann etablierte er in Haydns einstiger künstlerischer Heimat das Festival, das auch wenig bekannte Opern des Meisters aufführt. Mit der gerade zu Ende gegangenen Ausgabe endete eine Ära. Fischer übergab das Festival dem um dreißig Jahre jüngeren Nicolas Altstaedt. Aber bleibt Eisenstadt als Ehrendirigent verbunden: »Es war mein Kind – jetzt ist es mein Enkel.«
Düsseldorf im Fokus
Neben Verpflichtungen, die Fischer weiterhin in Ungarn absolviert (»Budapest ist trotz des allgemeinen Klimas eine lebendige und weltoffene Stadt«), liegt sein Augenmerk deutlich auf Düsseldorf. Hier wird er mit seinem musikalischen Partner Alexandre Bloch, der als »Principal Guest Conductor« fungiert, den Hauptteil der Konzerte übernehmen. Nicht ausgeschlossen ist zudem, dass er eine Produktion an der Deutschen Oper am Rhein leitet.
Für seinen Antritt wählt Fischer zwei Herzenskomponisten aus. Haydns populäre Sinfonie Nr. 88 steht neben Mahlers Siebter und damit einem für sämtliche Instrumentengruppen nicht leicht zu hebenden Brocken. Unbekannt ist das Werk dem Orchester nicht. Man hat es oft bei einem Mahler-Abend gespielt, den hier Ballettchef Martin Schläpfer choreografierte. Dass Fischer mit dieser Symphonie, die bizarren Walzerspuk, Jubelfanfaren und die für Mahler typischen Herdenglocken aufbietet, startet, hat noch aufführungspraktische Gründe. Bei einem Orchester, das wie die Symphoniker mehr Oper als Konzerte spielt, müssen für ihn Konzertprogramme mit neuen Anstrengungen geplant werden. »Manche Instrumentengruppen sind in der Oper einfach nicht gefordert. In der italienischen Oper etwa spielen die Bratschen oft stundenlang nur eine einzige banale Figur.« Gerade bei Mahler-Symphonien, speziell der Siebten, in der sogar Gitarre und Mandoline zum Einsatz kommen, gibt es hingegen für jeden eine Menge zu tun. Weil Mahler für Fischer auch ein großer Pädagoge war, der jeden Musiker und jede Gruppe besonders förderte, sind die Symphonien das, was er lachend als »technische Instandhaltung eines Orchesters« bezeichnet.
Adam Fischer, Düsseldorfer Symphoniker, Werke von Haydn, Mahler. 20., 22.& 23. November, Tonhalle, Düsseldorf