Emi hat sich hinreißen lassen. Nicht nur zu abwechslungsreicheren Sexspielchen mit ihrem Ehemann Eugen. Sie ließ auch gleich noch eine Kamera mitlaufen, wovon die recht expliziten Videobilder zu Beginn von Radu Judes »Bad Luck Banging or Loony Porn« zeugen. Eigentlich ist dieses Video nur ein Amateurporno unter unzähligen anderen im digitalen Raum. Aber es hat den Weg auf die Mobiltelefone und Tablets der Schülerinnen und Schüler gefunden, die Emi in Geschichte unterrichtet. Also steht plötzlich alles für die engagierte Lehrerin auf dem Spiel. Die Eltern der Kinder aus ihrer Klasse haben ein Tribunal einberufen, das damit enden könnte, dass sie ihren Job an der Bukarester Eliteschule verliert.
Seit Jahren gastiert der rumänische Filmemacher Radu Jude mit seinen Arbeiten auf den großen Filmfestivals. Im März hat er bei der Berlinale den Goldenen Bären für »Bad Luck Banging or Loony Porn« gewonnen. Eine Entscheidung, die ein wenig überraschend kam, aber auch ein bedeutsames Zeichen für ein Kino gesetzt hat, das politisch Stellung bezieht, ohne darüber die Form, das Filmische, aus den Augen zu verlieren. Die Hardcore-Szene, mit der Jude die vordergründig so simple, in Wahrheit aber ans Innerste der rumänischen Gesellschaft rührende Geschichte eröffnet, ist ein erster, vielleicht sogar noch der harmloseste Frontalangriff auf unsere Sehgewohnheiten. Diese ungeschminkten Bilder eines experimentierfreudigen Paares, die in unserer Vorstellung mit den Screens digitaler Endgeräte verbunden sind, entwickeln auf der Leinwand eine disruptive Kraft. Sie verkünden unmissverständlich, dass Jude keine Grenzen akzeptiert und sich erst recht nicht um den sogenannten guten Geschmack schert.
Auf das Vorspiel folgt ein filmisches Triptychon, das Erzählendes und Dokumentarisches, Satirisches und Alltägliches hemmungslos mischt. Im ersten Drittel folgt die Kamera Emi, wie sie durch das sommerliche Bukarest des Jahres 2020 geht. Masken gehören dabei ebenso zum Bild der Stadt wie Aggressionen, die allerorts explosive Stimmung schaffen. Judes Blick schweift immer wieder ab und fängt banale Streitigkeiten ein, die von einem tiefen gesellschaftlichen Riss zeugen. Im Supermarkt schreit eine genervte Frau eine Kundin an, die nicht genug Geld dabei hat. An einer kleinen Kreuzung setzt ein Autofahrer dazu an, einen Fußgänger zu überfahren.
Emi scheint das alles gar nicht mehr zu bemerken. Sie ist mit ihren Problemen beschäftigt und weiß nur zu genau, was sie von ihren Mitmenschen zu erwarten hat. Die latente Wut, die sich nicht nur mit der Pandemie erklären lässt, bricht sich im Verlauf des dritten Teils Bahn. Während des Tribunals wird Emi von den Eltern wüst beschimpft und mit geradezu grotesken Verschwörungstheorien konfrontiert. Theorien, deren Wurzeln Radu Jude im mittleren, essayistischen Teil seines Films, einer visuellen Enzyklopädie der rumänischen Geschichte wie des rumänischen Geistes, offenlegt. Dieser aus Found-Footage-Material kompilierte, von Jude durch zumeist bitterböse Untertitel ergänzte Part verknüpft den Aufstand der Spießbürger gegen eine liberale Lehrerin mit den faschistischen Bewegungen, die Rumänien im 20. Jahrhundert prägten. Brechts Diktum »Der Schoss ist fruchtbar noch« erfährt in Radu Judes kompromisslosen Porträt einer aus den Fugen geratenen Zeit eine so anschauliche wie eindringliche Bestätigung.
»Bad Luck Banging or Loony Porn«
Regie: Radu Jude, Rumänien / Luxemburg / Tschechische Republik / Kroatien, 2021, 106 Min., Start: 8. Juli 2021