TEXT: SASCHA WESTPHAL
Mit den Baby-Boomern kam die Angst vor den Kindern. Seit den 1950-er Jahren hat das Horror-Kino von bösen Jungen und Mädchen phantasiert, die von purer Mordlust erfüllt sind oder als außerirdische Kuckuckskinder das Ende der Menschheit einleiten sollen. Diese Tradition greift Marius von Mayenburg in seinem Stück auf und verknüpft sie mit der hysterischen Angst einer Gesellschaft, die sich von Terroristen und anderen Bedrohungen umgeben sieht.
Ein Schuss ertönt. Ein Kind fällt zu Boden, neben die rote Lache, die da schon vorher einen Fleck bildete, als hätte sie nur auf den Tod und das Mädchen gewartet. Dann erklingt ein Geräusch, das sich anhört wie ein Film, der rückwärts läuft. Also steht das Mädchen wieder auf und verlässt die Bühne, wie sie gekommen ist. Die Zeit wird zurückgedreht. Es ist der irrwitzige Schlusspunkt einer Geschichte elterlicher Paranoia und wird für die Performance-Künstlerinnen Isabel Dorn und Verena Ries zum Ausgang für ihr »Treibhaus-Projekt nach Marius von Mayenburg«.
Für die namenlos bleibenden Eltern ist ihre zehnjährige Tochter Rätsel und Gefahr. Die Angst vor dem Kind, das sie nicht verstehen und folglich vernachlässigen, wächst. Als sich dann noch ein Vorfall am Einkaufszentrum ereignet, drehen die Eltern durch. Das Mädchen muss der Feind sein.
In der Aufführung des Jungen Düsseldorfer Schauspielhauses sind nur die Stimmen der Eltern (Verena Reichhardt, Florian Jahr) zu hören. Die Bühne gehört allein dem Kind, das von acht gecasteten Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren gespielt wird. Den Texten der Erwachsenen setzen sie ihre ausgelassene, dann wieder traurige Performance entgegen, reagieren direkt auf die irrationale Abwehr, greifen mal übermütig zum Brotmesser oder verwandeln sich in Zombies und erfüllen somit das Bild von sich.
Das alles ist deutlich als Spiel markiert und erkennbar. Die Mädchen bestehen darauf, sich als Kinder wie Kinder verhalten zu dürfen. An diesem Behauptungswillen scheitern die Eltern, deren Wahrnehmung derart blockiert und verstellt ist, dass sie einem Scharfschützen der Polizei »Freie Sicht« verschaffen. Der Kreis schließt sich. Die Inszenierung setzt ein klares Zeichen, indem sie die Perspektive des Textes verschiebt und neu fokussiert. Hollywood lag falsch: Die Monster sind die Eltern.