Der Verein Pottporus hat jetzt höchste Weihen durch die Landesregierung erfahren. Mit einer Förderung von 300.000 Euro jährlich darf er in den nächsten drei Jahren das Urban Arts Ensemble betreiben und zu ersten Erfolgen führen, das erste und einzige Hip-Hop-Tanztheaterensemble Deutschlands. Bis hierhin war es für Pottporus allerdings ein oft steiniger Weg.
Es ist interessant, den Worten zu lauschen, die der Herner Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD) und NRW-Kulturministerin Ina Brandes (CDU) für die Förderentscheidung des Urban Arts Ensembles finden. In einem leer stehenden Kaufhaus in der Innenstadt von Wanne-Eickel, das vielleicht irgendwann einmal als Hip-Hop-Theater, Proben- und Produktionsstätte genutzt werden könnte, suchen sie bei der Pressekonferenz nach dem größten Superlativ. Dudda findet ihn: Dies sei ein »Schlüsselmoment in der Stadtgeschichte, aber auch in der Geschichte des Ruhrgebiets. Solche Förderentscheidungen haben wir lange vermisst. Es geht hier darum, Hip-Hop-Entwicklung auf höchsten Niveau zu fördern, Pottporus zur führenden Institution des Hip-Hop zu machen.«
Für Ina Brandes ist das Urban Arts Ensemble »das wichtigste Projekt im Kreise der Neuen Künste Ruhr. Es ist wie das Ruhrgebiet: jung, kraftvoll, international, urban«. Die Entscheidung, das erste Ensemble dieser Art zu fördern sei erst der Anfang für den Aufbau eines Knotenpunkts, der eine Lücke schließt, die die Landesregierung gesehen habe. Die Politik sehe hier das Potential zu einer Hochschule für urbanen Tanz im Zentrum von Wanne, die Vision seien 80 Arbeitsplätze, die mit der neuen Institution zusammenhängen.
Um die Verwirklichung dieser Vision zumindest auf den Weg zu bringen, fördert das Land neben dem Urban Arts Ensemble auch das Projektbüro Urban Arts. Es ist in der Innenstadt von Wanne-Eickel schon gegründet und ein dreiköpfiges Team hat die Arbeit aufgenommen: Emil Imdahl (Graffiti, Streetart), Elikem Anyigba (Rap, Beatmaking und Musikproduktion) und Ateş Kaykilar (Breaking, Hip-Hop-Tanz) wollen Urban Arts-Projekte voran- und kreative Menschen der Metropole Ruhr zusammenbringen. Interessierte Akteur*innen können sich Hilfe und Beratung holen, Menschen, Projekte, Angebote, Räumen und Fördermöglichkeiten laufen bei der neuen Koordinierungseinheit zusammen.
So viele Lorbeeren also für den Verein Pottporus, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2007 als Impulsgeber, Motor und Vermittler von allen Kunstformen, die in der Hip-Hop-Kultur verwurzelt sind, versteht, neue Stile und Aufführungsformen kreiert und bisher vor allem mit der schon seit 2003 existierenden Kompanie Renegade in Erscheinung getreten ist. Renegade hat als Tanzensemble urbane Stile an sehr renommierte Kultur-Orte wie das Schauspielhaus Bochum, die Ruhrfestspiele oder PACT Zollverein gebracht. Seine Geschichte geht nach 20 Jahren nun zu Ende – allerdings nur dem Namen nach. Einige Mitglieder machen im neuen Urban Arts Ensemble weiter, einige Stücke werden weiter gespielt.
Man könnte meinen, der Tag der Förderentscheidung wäre ein Glückstag für Zekai Fenerci, der sich von Anfang als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter für die Geschicke des Vereins Pottporus einsetzt. Und natürlich darf er sich geschmeichelt fühlen von den Worten des Oberbürgermeisters Dudda: »Zekai Fenerci engagiert zu nennen, wäre noch untertrieben.« Trotzdem wird der so hoch Gelobte auch an diesem Tag eine Skepsis nicht los, die durch viele Erfahrungen gewachsen ist.
So mag man sich erinnern an eine Pressekonferenz in der Bochumer Zeche 1, die lange ein Freie-Szene-Spielort war und mittlerweile vom Schauspielhaus Bochum als »Theaterrevier« für das Junge Schauspiel genutzt wird. Nach großartigen Inszenierungen von Renegade im renommierten Theater unter den Vorgängern des aktuellen Intendanten Johan Simons, war Pottporus die Zeche 1 zugesprochen worden. Der Verein wollte hier ein Zentrum für urbane Kunst etablieren und künstlerisch leiten. Das Problem: Die dafür benötigten Fördermittel wollten einfach nicht fließen, auch an Ausstattung mangelte es dem Raum.
Nach Jahren des Kämpfens saß Zekai Fenerci also eines Tages mit ein oder zwei Journalisten im leeren Aufführungsraum und gab bekannt, dass das Schauspielhaus Bochum unter der neuen Intendanz den Raum nun für sich nutzen wolle, die Geschichte des Zentrums für urbane Kunst damit zu Ende sei. Die Pressekonferenz und die darin vermittelten Fakten zeigten: Weniger Interesse für seine Sache waren eigentlich kaum möglich. In der Landesregierung bestand offenbar kein Interesse an einer institutionellen Langzeitförderung für urbane Tanzstile oder Street Art.
Die Skepsis bleibt
In den vergangenen Jahren wurden die Diskurse um so genannte Diversifizierung in der Kulturlandschaft allerdings immer stärker. Institutionen wie allen voran die Stadttheater bemühen sich um neues Publikum, das der vielfältigen Gestalt der Gesellschaft entspricht und nicht in erster Linie ein bildungsbürgerliches Publikum anspricht. Da passen die Aktivitäten von Pottporus natürlich bestens ins Bild – und dass sie Kooperationen mit Hochkultur-Institutionen gewachsen sind, haben sie wie erwähnt mehrfach bewiesen.
So fügt es sich gut in die neue Kulturlandschaft 2023 ein, dass eine CDU-Ministerin ein Urban Arts Ensemble, dessen Mitglieder aus fünf Nationen stammen (darunter Ukraine UND Russland) und Stile wie Breaking, Krump, Experimental oder Funk tanzen und dafür ihre Skills, Styles und Moves einsetzen, für einen wichtigen, fördernswerten Kulturschwerpunkt und exemplarisch für das Ruhrgebiet hält.
Doch es passt auch ins Bild, dass Zekai Fenerci erstmal skeptisch bleibt: »Wir sind so weit, dass wir einen eigenen Spielplan machen könnten, ein Theater komplett selbst bespielen: Mit Tanz, Theater, Musik, Graffiti…« Die Region könne neben einem Pina-Bausch-Zentrum doch auch ein Zentrum mit Ausbildungsstätte für Urbanen Tanz gebrauchen. Genau das sagt sein Oberbürgermeister zwar, doch bisher sind das alles noch Lippenbekenntnisse, denen der Pottporus-Leiter bisher noch abwartend gegenübersteht. Er hofft, dass die Förderung weitergeht, das Urban Arts Ensemble zu einem Dekadenprojekt wird.
Er hofft, dass wirklich Mittel bereit gestellt werden, um zum Beispiel im leer stehenden Kaufhaus in der Fußgängerzone von Wanne-Eickel ein Hip-Hop-Theater zu bauen – das erste seiner Art in Deutschland. Aber mehr als Hoffen kann er gerade nicht: »Ey Leute, was soll ich jetzt noch tun?« Tatsächlich: Mehr auf den Weg bringen, an noch mehr Türen klopfen geht wohl wirklich nicht mehr.
So passt auch das Thema des ersten Stücks, dass das Urban Arts Ensemble erarbeitet: Ausgangspunkt der Hip- Hop-Tanztheaterproduktion »Cracks« von Choreograph Rauf Yasit ist das Gefühl von Zerrissenheit, das Gefühl in einer Lücke zu sein, haltlos den Halt suchend, ein Leben »dazwischen« – zwischen verschiedenen Kulturen, Tanzstilen, Lebenseinstellungen – und Förderentscheiden.
Am 24. Juni, ab 16 Uhr, zieht mit Pottporus zum sechsten Mal mit dem »International Summer Battle« die Battle-Kultur bei PACT Zollverein ein: Nationale und internationale Größen der urbanen Tanzszene treten in Eins-Zu-Eins-Battles gegeneinander an. Eine Jury entscheidet über die Gewinner*innen.