»Mein Vater sah sich als Regisseur, nicht als jemand, der fertige Konzepte liefert, sondern als jemand der mit allen Mitspielern gemeinsam ein Werk erstellt«, so sagt es Georg Ruhnau über seinen Vater Werner, »das ist natürlich ein umfassender, aber auch sehr anstrengender Ansatz – eigentlich der anstrengendste aller Ansätze.«
Werner Ruhnau war Architekt und wäre am 11. April 2022 nun 100 Jahre alt geworden. Sein Sohn plant gerade das Jubiläumsjahr mit verschiedenen Institutionen in NRW, denn hier stehen einige seiner Hauptwerke: das Theater Münster, fertiggestellt 1956, das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, das er zwischen 1955 und 1959 baute, oder die Zentrale der Herta KG in Herten von 1972. Sie alle sind aus einem besonderen Geist heraus entstanden, bei dem von Anfang an nicht nur alle üblichen Gewerke, sondern auch Künstler einbezogen wurden. »Er hat die Künstler ‚Sonderfachleute für Gestaltung‘ genannt«, berichtet sein Sohn, »ein Bauen ohne bildende Künstler konnte er sich nicht vorstellen, das war für ihn ausgeschlossen, genauso wie er auch nicht ohne Statiker gebaut hätte.« Dabei hatte Werner Ruhnau ein ganz besonderes Händchen für die Auswahl der am Bau beteiligten Künstler*innen gehabt, wie sicher jeder bezeugen kann, der einmal Yves Kleins blaue Farbreliefs im Musiktheater im Revier gesehen hat. »Eigentlich wollte mein Vater Spiegelobjekte in die Foyers hängen«, erzählt Georg Ruhnau, »aber dann war er bei einer Ausstellung von Norbert Kricke in Paris und sah im Hinterzimmer der Galerie DIN-A4 große Täfelchen von einem vollkommen unbekannten Judo-Lehrer – und da hat er gesagt: den will ich im Foyer haben, der kommt hierher.» Eine spontane Entscheidung, des Architekten, der sich selbst als »Homo Ludens« bezeichnete und seine berufliche Tätigkeit auch als ein großes Spiel gesehen hat.
»Natürlich muss man das auch kritisch hinterfragen, aber für ihn war die Idee, alles im Spiel zu begründen«, sagt sein Sohn, »er wollte mit den Künstlern interagieren, vom Wissen der anderen profitieren. Dieser Ansatz liefert mehr Spielräume, als der Entwurf, der um keinen Millimeter abweichen darf.« Selbst finanzielle Verluste hielten Werner Ruhnau nicht davon ab, sein Konzept weiterzuverfolgen. Bei der Werkbundsiedlung in Oberhausen Altstaden, entstanden in den 1980er Jahren, verfolgte er auch einen aufwändigen Beteiligungsprozess. Rund 100.000 DM habe Ruhnau pro Jahr »draufgezahlt« berichtet sein Sohn, die künftigen Bewohner konnten oder wollten nicht zahlen. Trotzdem hätte Werner Ruhnau es wieder genau so gemacht. »Er hatte einen Spaß«, erzählt Georg Ruhnau, der für das Jubiläumsjahr gerade unter anderem auch alte Fotos durchgesehen hat, »die ganzen historischen Bilder, da gucken immer alle ganz ernst, nur Otto Piene und er, die haben immer gelacht.«
Kultur für alle
Das Spiel war aber auch Thema vieler seiner Projekte. Zu den Olympischen Spielen in München 1972 schuf er eine Spielstraße, die den kulturellen Gegenpol zur sportlichen Leistungsschau bot. Jeder konnte hier dem Entstehungsprozess bildender oder darstellender Kunst beiwohnen und mit den Künstler*innen in Kontakt treten. Diese Grenze zwischen Publikum und Künstlern aufzuheben, war auch Grundlage der Spielräume, die er für zahlreiche Theater geschaffen hat. In Essen oder in Frankfurt am Main finden sich diese multifunktional frei bespielbaren Räume, ohne Trennung von Bühne und Saal, in denen sich die Zuschauenden aktiv einbringen, nicht nur konsumieren sollen.
Seine Laufbahn hatte Werner Ruhnau nach dem Architekturstudium in Danzig, Braunschweig und Karlsruhe 1952 in Münster als Architekt der Landwirtschaftskammer begonnen, gemeinsam mit Walter Hämer. Wurde von dort aus direkt für den Neubau des Theaters engagiert, im Team mit drei Architektenkollegen, danach folgte sein Meisterwerk, das Theater in Gelsenkirchen. Der demokratische Ansatz, der Kultur nicht nur für eine Elite, drückt sich hier im gesamten Gebäude aus, insbesondere der Glasfassade vor dem Betonskelett. Es gibt keine Trennung mehr zwischen der Bildungselite im Inneren und den Menschen im Revier draußen – Kultur für alle. Neben Kulturbauten, darunter auch viele Umbauten, und einige Verwaltungsgebäude, wie der Herta KG oder Flachglas AG, war er auch für die Gestaltung von U-Bahn-Haltestellen im Ruhrgebiet und verschiedene Wohnsiedlungen in NRW verantwortlich.
Kein riesiges Werk des Architekten, der 2015 starb, aber gefährdet, wie viele Nachkriegs-Gebäude. »Die Städte oder andere Eigentümer wissen sie zu schätzen«, meint Georg Ruhnau, aber oft reichen die Ressourcen nicht, die Wertschätzung in ausreichender Pflege oder passgenauen Umbauten umzusetzen. »Mein Vater hat mir die Urheberrechte per Testament vermacht«, so Ruhnau, »das war natürlich klug von ihm, mir das aufzubrummen, das ich mich darum kümmern muss«. So hat er Mitspracherecht, das er ganz im Sinne seines Vaters wahrnimmt. »Auch Ruhnau 100 ist natürlich perfekt, auf die Komplexität und Qualität des Werkes aufmerksam zu machen«, kündigt Georg Ruhnau das Programm zum 100. Geburtstag an. An vielen der Wirkungsstätten von Werner Ruhnau wird es Aktivitäten geben und ein Symposion im Baukunstarchiv NRW, wo der Nachlass liegt. Die große Retrospektive dort wird wegen Corona allerdings auf 2024/25 verschoben. So eine ausführliche Feier hätte Werner Ruhnau womöglich sogar gefallen – »er hätte wahrscheinlich ein Dionysos-Festspiel gemacht«, vermutet Georg Ruhnau, »als Aktivierung aller Künste und im Sinne der Stadtgesellschaft«.
Die Website www.ruhnau.info wird derzeit aktualisiert. Auf ihr werden die Veranstaltungen zum 100. Geburtstag Werner Ruhnaus angekündigt und später dokumentiert.