Ein Fels wie ein zersplitterter schwarzer Diamant mit scharfkantigen, spitzeckigen Facetten türmt sich als abstrakte Landschaft auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Es könnten auch nächtliche Eisschollen sein wie die auf Caspar Davids Friedrichs Gemälde »Die gescheiterte Hoffnung«. Macbeth liegt auf der Fläche im goldenen Wams. Wären das verklebte Blut nicht und sein »tiefer schwarzer Wunsch« (in der Übersetzung von Thomas Brasch), er könnte Prinz sein in einem Märchen aus dem Phantasus. Die Hexen weissagen ihm kommende Triumphe.
Szenenwechsel, die immer von harschen Blacks geschnitten werden, als zucke ein Fallbeil nieder. Risse durchziehen die kalkig graue, schrundige Wand eines hohen Zimmers, an deren Seite eine gewaltige Karyatide unter ihrer Last barst. Wir lesen von dem brüchigen Gemäuer das unsichtbare Mene Mene Tekel Upharsin ab. Die Welt aus den Fugen, Ordnung in Chaos verwandelt. Der Raum selbst – ein vornehmer Salon oder das, was von ihm übrig blieb – scheint ein Schicksal zu haben und zu spiegeln, was in den Seelen der Menschen vor sich geht.
Die Lady – eine herbe, mondäne, zeremonielle Dame (Manuela Alphons) – erwartet ihren Liebling, der wie ein Sohn zur Mutter tritt, niederfällt und ihr den Fuß küsst, gehorsam in Angstlust. Nach dem Meuchelmord an Duncan paaren sich ihre vier Hände zur gemeinsamen Bluthochzeit. Und wieder: Macbeth fast noch Märchenprinz und doch schon Killer-Kid. In einer Zinkbadewanne wusch er sich sauber und plante den Mord. Er hätte auch Schiffe-Versenken spielen können. Es bleiben Funny Games. Schreckliche Kinderspiele, höchstens vom Traum von sich selbst verschönt. Aber »Macbeth tötet den Schlaf«, als er Duncan ersticht, und tötet damit seine kindliche, man könnte sagen, seine künstlerische Unschuld.
Denn Titov und André Kaczmarczyk als sein Hauptdarsteller erzählen vom Schuldig-werden in Unschuld: ein Künstlerschicksal von jemandem, der im Imaginären zuhause sein will statt im Wirklichen und Faktischen. Als würde es für diesen Macbeth über die Vergangenheit nie hinausgehen, nicht in die Gegenwart und schon gar nicht in die Zukunft. Sein Handeln ist Ausdruck der vielleicht unreflektierten Erkenntnis, dass es Zukunft nicht gibt. Gegen die Melancholie dieser Einsicht braucht es den Kitzel.
Verzweifelt heilloses Spiel
Das ist ein ganz und gar anderer »Macbeth«, als er an diesem Ort vor 16 Jahren, in einer ungeheuren Aktion auftrat und mit Jürgen Gosch als Regisseur Theatergeschichte wurde: als besudeltes reines Spiel ohne Grenzen.
Nun, bei Titov, ist es ein anderes Spiel, ein verzweifelt heilloses. Mit einem aufstampfenden Kind in glänzend schwarzem Satin, das nicht Herr seines Tuns ist (und mit den Todesdolchen ungelenk hantiert wie mit Prothesen), aber doch Manns genug, seine Lady mit Gewalt zu nehmen und sich nach dem sexuellen Zugriff wie mit einem Pssst! stickum aus der Affäre zu ziehen und bei seinen Worten die Hand vor den Mund zu schlagen.
Kaczmarczyks Macbeth, der musterhaft zuvorkommend, zartbesaitet, ungezogen, brillant erscheinen kann und als übermütiger Tausendsassa, fällt zwischendurch ins Entgeisterte seines Erwachsenseins, als wolle er nicht fassen, dass das Paradies verloren oder nie eines gewesen ist und sich in ein dunkel verhangenes Nimmerland verwandelt hat. Noch beherrscht er das Spiel, aber hat es als unsinnig erkannt.
Die Übrigen treten in der energetischen und schmuck bildmächtigen, aber etwas lose gefügten Inszenierung beiseite oder werden von Titov mit ein paar Genreszenen abgeräumt, bis auf das Hexen-Trio (Caroline Cousin, Stella Maria Köb, Blanka Winkler), die als kahle Sängerinnen des Fatums, Totenvögel, Kanaillen, Krankenschwestern zur Allzweckwaffe aufgerüstet sind.
Ein zweiter Hamlet
Ungerührt nimmt Macbeth den Tod der Lady hin, wohl, dass er ihren Leichnam akkurat zudeckt, um sich dann in einen Tanz mit ihr zurückzuträumen, der sich zum autoerotischen, manisch zwanghaften Selbstreinigungs-Solo steigert. Er ist sich selbst genug, »vom Grauen restlos satt« und müde des »Märchens, das ein Idiot erzählt«.
Das Prinzip Hoffnung ist zerschellt. Denn der Nächstfolgende auf Schottlands Thron, Malcolm, der geflohene Königssohn (Florian Claudius Steffens), eine Sünden-Diva im Reifrock mit Juwelen-Tand geschmückt, hantiert liebkosend mit dem Kopf des getöteten Mörders seines Vaters, Macbeth, als Spielball. Es beginnt alles aufs Neue.
Kaczmarczyk aber reibt sich ein mit Blut, wie ein aus dem Mutterschoß geschlüpftes Neugeborenes, und geht in den finalen Kampf mit Macduff, wobei er sich mehr dem eigenen Schädel-Double als Spiegelbild widmet. Ein zweiter Hamlet, der mit Yoricks Schädel über das Vergängliche sinnt. Er, das schlimme Kind, wird konfrontiert mit einem zweiten Kind, seinem wahren Bezwinger: das eine kleine Prinzen-Kind in hell-seidener Unschuld auf weißem Blütenfeld gegenüber dem schwarz gewandeten, blutverschmierten. Der Eine träumt davon, wie es gewesen wäre, hätte er jemand Anderer sein können.
Vorstellungen: 30. November, 5., 19., 28. Dezember, Schauspielhaus