// Man ist mittlerweile ja auf so ziemlich alles gefasst, in diesen rezessiven Zeiten. Nur nicht auf dramatische Kursgewinne. Einen solchen hat im November ein Herr namens Marx realisiert. Nicht an der Börse, sondern auf der Sachbuch-Bestsellerliste. Von null auf sechs hat sich dort sein Buch mit dem Titel »Das Kapital« platziert. Warum auch nicht, könnte man denken. Schließlich wird derzeit gerade ja wieder im großen Stil sozialisiert, wenn auch vorerst nur privatwirtschaftliche Verluste. Doch verfasst hat das Werk, das sich im Untertitel als Streitschrift offeriert, nicht Karl, sondern Rainhard Marx. Der Erzbischof für München und Freising versteht seine katholische Variante des Kapitals als »Plädoyer für den Menschen.«
Ein solches Plädoyer hält an diesem diesigen Novembervormittag auch Marcelo da Veiga. Was da Veiga nicht möchte, ist die »Vernutzung« des Menschen durch Profiteure. Denn das führe ja zu solchen Debakeln, wie wir sie gerade erleben würden. Der gebürtige Brasilianer ist Rektor der privaten Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Unter seiner Leitung hat die 1973 in Alfter bei Bonn gegründete, anthroposophisch ausgerichtete Weiterbildungseinrichtung 2002 die Umwandlung in eine staatlich anerkannte Kunsthochschule geschafft. Damit verbunden war auch eine inhaltliche Neuausrichtung, bei der es nicht zuletzt darum ging, das identitätstiftende anthroposophische Gedankengut in einen – wie da Veiga es nennt – »gesellschaftsbezogenen Diskussionskontext« zu stellen. Blumig formuliert, hat da Veiga die geistigen Wurzeln der Einrichtung ein Stück weit aus dem biodynamischen Mutterboden der Anthroposophie gezogen, um intellektuell ertragreicher wirtschaften zu können.
Seit dem Wintersemester 2006/07 wird an der Hochschule auch Betriebswirtschaft angeboten. Dabei gehe es nicht zuletzt darum, künstlerisch-kreative Potenziale gesellschaftlich fruchtbar zu machen. »Töpfern für BWL-Studenten«, so hieß es despektierlich prägnant im Spiegel, als der sich für die Verbindung von Kunst und Wirtschaft à la Alanus interessierte. Keinen Zweifel lässt da Veiga daran, dass die Einführung der Betriebswirtschaft an einer bis dato den Künsten vorbehaltenen Hochschule auch mit Unbehagen an der gegenwärtig dominierenden Form des Wirtschaftens zu tun hat. »Wirtschaft blendet heute vieles aus, was eigentlich die Qualität des menschlichen Daseins ausmacht.« Zusammen mit ähnlich gesinnten Unternehmern wie dem Gründer der Drogeriekette »dm«, Götz Werner, oder »Alnatura«-Chef Götz Rehn, ist da Veiga deshalb daran gegangen, einen BWL-Studiengang aufzubauen, der den Studenten auch ein Kultur- und Wertebewusstsein zu vermitteln versucht. Das geht natürlich ohne Marx, egal ob Karl oder Rainhard, und selbst die Werke Rudolf Steiners sind dabei verzichtbar.
Heute studieren rund 100 Studenten BWL an der Alanus Hochschule. Ihre Fotos hängen im Flur des Fachbereichs. Die Türen der Professoren-Büros sind hier fast immer offen. Man kennt sich, sitzt zusammen auch am großen Tisch in der kleinen Mensa. Zurzeit ist die BWL auf engem Raum in dem ehemaligen Gutshof untergekommen. Ein paar Kilometer unten im Tal ist ein zweiter Campus im Bau. Voraussichtlich im Herbst nächsten Jahres werden in einem überschaubaren Ensemble von Gebäuden noch einmal 400 Studenten Platz haben, nicht allein BWLer, sondern Studierende aller Fachrichtungen. Denn auf das räumliche Nebeneinander von Kunst und Wirtschaft legt die Alanus Hochschule genauso großen Wert wie auf die inhaltliche Durchdringung der Studiengänge.
Weniger bunt als der Stammsitz wirkt der neue Campus, moderner. Zum Neudenken soll die Architektur einladen, Offenheit ermöglichen, erzählt Markus Mau, der als Gründungsprofessor den BWL-Studiengang mit konzipiert hat. Dafür hat der 39-Jährige eigens amerikanische Elite-Universitäten und -Institute bereist, um zu schauen, wo innovative Ideen idealerweise hausen. Denn der Anspruch, den die Abteilung BWL der Alanus Hochschule selbstbewusst formuliert, ist ein reichlich unbescheidener. In Alfter wird in kleinem Stil seit zwei Jahren genau das versucht, was seit ein paar Wochen weltweit ratlose Entscheidungsträger hektisch und verzweifelt üben: »Wirtschaft neu denken«.
»Wer analysiert eigentlich die Analysten?« steht rot unterlegt auf dem Plakat, dass einen unrasierten jungen Mann zeigt, der lässig die Hände in die ausgewaschene Jeans steckt. Unter dem braunen Cordsakko trägt er einen Kapuzenpullover. So wirbt die Alanus Hochschule für ihren neuen Studiengang. Mit selbstsicher und zugleich nachdenklich dreinschauenden jungen Menschen. »Wieviel Phantasie verträgt die Ökonomie«, fragt eine Rothaarige im roten SportT-Shirt vor verschwommenen Strommasten.
Markus Oelschläger, der zum ersten BWL-Jahrgang der Hochschule gehört, ist einer dieser Studenten, die an der Alanus Hochschule lernen soll, die richtigen Fragen zu stellen. Er würde sich auch gut in den Anzeigen machen. Verantwortung möchte er später einmal übernehmen, sagt Oelschläger, nach Möglichkeit im höheren Management. Denn nur dort könne er seinen Ideen vom nachhaltigen Wirtschaften Gehör verschaffen. Das Geld, das er in einer solchen Position verdiene, gebe zwar Sicherheit, doch sei es für ihn nicht entscheidend. Ihn störe, dass Quartalszahlen heute wichtiger seien als die Menschen, die in einem Unternehmen arbeiten. Deshalb kam ein klassisches BWL-Studium an einer der staatlichen Hochschulen für ihn nicht infrage. Stromlinienförmig werde dort unterrichtet, sagt Markus Mau, der eine zeitlang Dozent an der Justus-Liebig-Universität in Giessen gewesen ist. »Querdenken findet da kaum statt.«
Anders lässt sich das Studium an der Alanus Hochschule an. Sehr anders. Hier gibt es einen auf »Not for Profit Organisation«-Management spezialisierten Junior-Professor und Projekte zum »Ganzheitlichen Lieferantenmanagement«. Angehende Manager basteln in Alfter, ausgestattet mit Paketschneidern und Schere, in Kleingruppen Türme, ohne miteinander sprechen zu dürfen. Vor derartige Hürden wird der Führungsnachwuchs in den Kunstmodulen gestellt, die zum Pflichtprogramm gehören. Dadurch werde der Blickwechsel geschult, die Kreativität gefördert, Teamfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit ausgeprägt, sagt Mau. Wobei das betriebswirtschaftliche Handwerkzeug natürlich genauso vermittelt wird wie an anderen Hochschulen. Schließlich bildet man ja für den Markt aus. Nur eben Menschen, die mit den dort derzeit geltenden Spielregeln nicht ganz einverstanden sind. »Unsere Studenten müssen hinreichend offen sein, um die Idee einer ganzheitlichen Ausbildung zu leben, offen sein für eine sechs Semester dauernde Reise.«
Diese Reise hat ihren Preis. 700 Euro kostet das Studium an der Alanus Hochschule, nicht im Semester, sondern pro Monat. Für zwei Drittel der Studenten stehen Stipendien der Partnerunternehmen zur Verfügung. Neben Firmen wie dm oder Alnatura, deren Namen schon lange für soziales Engagement und nachhaltiges Wirtschaften stehen, bringen sich auch der Handelskonzern Rewe oder etwa die Drogeriemarktkette Budnikowsky in den Studiengang ein. Bewerber sind aufgefordert, neben der Hochschulreife und einem handgeschriebenen Lebenslauf auch ein Motivationsschreiben mitzubringen. Zudem müssen sie vor einer Jury bestehen, in der Vertreter des Fachbereichs und der Unternehmen sitzen. Die überprüft die Tauglichkeit der Kandidaten für das Studium und für die umfangreiche Praxisphase. Wer sich vor allem für gute Verdienstmöglichkeiten interessiert, wird es schwer haben, an der Alanus Hochschule angenommen zu werden.
Gegen den Realitätsverlust, der Top-Managern heute gern unterstellt wird, immunisieren Alanus-Studenten 60 Wochen Praxis. Die müssen sie in einem Partnerunternehmen ihrer Wahl verbringen, in der vorlesungsfreien Zeit und nicht nur in den oberen Hierarchie-Etagen. Denn es gehe eben nicht darum, anderen Menschen beim Arbeiten zuzusehen, betont da Veiga. »Für manchen unserer Studenten ist es eine Ernüchterung, wenn er sieht: Wirtschaft bedeutet auch, Regale einzuräumen und nicht nur, Entscheidungen auf Führungsebene zu treffen.« Nicht zuletzt dieser enge Praxisbezug ist es, der das Studium für Studenten attraktiv macht. Zwar gibt es keine Übernahmegarantie der Partnerunternehmen. Doch haben Alanus-Absolventen selbstverständlich nicht die schlechtesten Chancen, später auch bei den Firmen unterzukommen, die sich ihr Studium immerhin 25.200 Euro haben kosten lassen.
Zugleich bewahrt die Praxis Studenten auch davor, dass die Wirtschaft-neu-Denkerei in folgenlosen Systemverbesserungsdebatten mündet. »Wir bilden Realisten aus, die mit Idealismus an ihre Berufspraxis gehen«, sagt da Veiga. »Nachhaltigkeit heißt ja nicht, dass ich gucke, ob es dem Pandabären gut geht, sondern Nachhaltigkeit bedeutet, dass ich das Unternehmen effizient führe. Man darf Nachhaltigkeit nicht von Gewinnorientierung trennen.« Am Ende hängt auch in Zeiten moralisierter Märkte natürlich alles am Spiel von Angebot und Nachfrage. Doch zurzeit gibt es ja Anzeichen genug, dass der Bedarf an Managern, die Wirtschaftsethik nicht nur als Laberfach abtun, noch lange nicht gedeckt ist.
»Ich glaube, dass die Zeit des rabiaten Wirtschaftens gerade eine deutliche Zäsur erfährt«, sagt Mau. Insofern ist, was die Alanus Hochschule anbietet, alles andere als Weltverbesserei auf dem Johannishof. Wer von dort hinunter ins Tal schaut, sieht von fern den Bonner Post-Tower. Irgendwo dort ist auch die Zentrale der Deutschen Telekom. Man könnte den Eindruck haben, auf dem Johannishof ziemlich weit weg zu sein von den weltwirtschaftlichen Schaltzentralen. Zugleich aber auch das Gefühl, sich auf dem Weg nach hier oben ein Stück weit in Richtung Zukunft bewegt zu haben. //