TEXT: ANDREAS WILINK
Ist der Film zu lang, zu designt, zu extrem in seinen Tempoverschiebungen, zu symbollastig, überhaupt zu ambitioniert? Sind sein begabter Regisseur Derek Gianfrance, mit jetzt knapp 40 noch die große Hoffnung des Independent Cinema in den USA – vor allem mit seiner reflektierten Liebes- und Ehegeschichte »Blue Valentine«, und sein charismatischer Hauptdarsteller Ryan Gosling, der die Aura eines Steve McQueen um eine weichere Note ergänzt, zu weit gegangen im Aufladen ihrer Geschichte? »The Place beyond the Pines« ist Thriller, Action-Kino, emotionales Drama und Mythenmaterial. Luke Glanton, eine Art Liliom, verdingt sich als Motorrad-Stuntman auf dem Jahrmarkt und bezwingt den Todeswall: ein Malocher, den die Frauen lieben, blond, muskulös, tätowiert, einsilbig, einzelgängerisch, nicht zu haben und nicht zu halten. Immer in der Haltung von einem, welcher fortgeht. Kurz, eine Ryan-Gosling-Figur, wie wir sie kennen aus »Drive« und eben als Dean Pereira in »Blue Valentine«. Als er von seiner Vaterschaft (Frucht eines One-Night-Stands mit der Kellnerin Romina – Eva Mendes) erfährt, will er Verantwortung übernehmen, sesshaft werden und die Zukunft des kleinen Jason sichern, weniger durch den miesen Job in einer Autowerkstatt, als mit Dollars aus Banküberfällen, bei denen der Mechaniker Robin (Ben Mendelsohn) ihm zur Hand geht und seine Fahrkünste ihm nützen. Luke ist speedy. Immer tollkühner geht er vor, bis er es überreizt. Der Polizist Avery Cross (Bradley Cooper), College-Absolvent, aus gutem Hause, ehrgeizig und belastet mit familiären Problemen, wird zu seinem Gegenspieler – ein Karrierist in Albany / New York.
Die Kleinstadt heißt Schenectady, übersetzt aus der Mohawk-Sprache: Platz hinter den Pinien. Historisches Gebiet, Lederstrumpf- und Pionier-Land; auch Geburtsort von Daisy Miller, der Heldin des Henry James, einem Monument bürgerlich kultivierter Reputation. Archetypische Landschaft also, sich erweiternd zu mythischem Terrain, wenn der Film an einem Ort namens Troy (Troja) strandet. Wer hier seine Erzählung spielen lässt, tut es nicht zufällig, so wenig wie Jonathan Demme, als er »Philadelphia« drehte, wo die US-Verfassung proklamiert wurde. Auch Gianfrance entwirft »An American Tragedy – jenseits von Eden und im Schatten der »Giganten« von Rock Hudson und James Dean. Raffiniert montiert er die Lebensentwürfe seiner Kontrahenten und – nach einem Zeitsprung – ihrer Nachkommen spiegelbildlich und setzt sie in Beziehung zueinander. Hier der Outcast, der seinem inneren Gesetz folgt, das ihn sozial stigmatisiert, dort der Gesetzeshüter, der ebenfalls einen kleinen Sohn, AJ, hat und sich in der Mechanik von Recht und Unrecht verklemmt. Fremde Brüder und die Balance des Unglücks: Die Schuld der Väter rächt sich an den Söhnen, die plötzlich Klassenkameraden sind. Es herrscht moralisches Zwielicht, in dem sich Männerbilder in ihren Schattierungen brechen.
»The Place beyond the Pines«; Regie: Derek Gianfrance; Darsteller: Ryan Gosling, Bradley Cooper, Eva Mendes, Ray Liotta; USA 2013; 144 Min.; Start: 13. Juni 2013.