TEXT: KATJA BEHRENS
Wie eine ovale Schnecke windet sich das Treppenhaus empor, auf dem Teppichboden des licht in die Höhe strebenden Foyers im Kölner Opernhaus sieht man jeden Krümel, der gläserne Ausstellungspavillon von Ford strahlt bei Nacht. Selbst aus nächster Nähe sind diese Fotos brillant, leicht und präzise, ihre Beleuchtung perfekt. So wie auch die abgebildete Architektur luftig und gut ausgeleuchtet daherkommt, ohne Schnickschnack und doch beschwingt.
In den 50er Jahren beginnt für die Architektur und ihre bildgebenden Medien eine neue Epoche. Vorbei die Zeit der Schwere und des neoklassizistischen Imponiergehabes, das die Bauten der 1930er und frühen 40er Jahre zu propagandistischer Selbstdarstellung ins Monumentale übersteigert hatte. Die politische Vereinnahmung des Neoklassizismus in den Scheußlichkeiten nationalsozialistischer Architektur hatte in der Nachkriegszeit auch in Deutschland eine der Moderne wieder zustrebende Gegenbewegung zur Folge, die sich besonders sichtbar in Architektur und Stadtentwicklung niederschlug. Man wollte den neuen demokratischen Geist, der nun das Land durchwehen sollte, auch sichtbar machen, »man musste sich neu erfinden«.
Und so will sich die Architektur der 50er Jahre human und sympathisch geben, will Leichtigkeit und Transparenz zeigen, viel Licht, viel Glas, viel Weiß – so etwa beim 1948 in Köln erbauten Funkhaus am Wallrafplatz oder der benachbarten neuen Oper. Inspiriert durch die funktionale Geometrie des »Neuen Bauens« der 20er Jahre, gepaart mit Einflüssen aus Skandinavien, den USA und der Schweiz entwickelte sich eine Architektur der klaren, geometrischen Grundrisse mit offenen Rasterfassaden: große offene Räume, makellose Rundungen, gleißend helle Flächen. Das sollte wohl auch einen Zustand von Reinheit und Unschuld suggerieren.
Das Rheinische Landesmuseum Bonn hat jetzt eine Ausstellung konzipiert, die ebendiesen Entwicklungen ein Gesicht gibt. Unter dem Titel »Wie sich Deutschland neu erfand« zeigt sie rund 65 Fotografien des Kölners Karl Hugo Schmölz (1917–1986), der in seinen Bildern wohl wie kein anderer die architektonische Moderne der 50er Jahre im Rheinland dokumentiert hat.
Schmölz hatte schon in den 1930er Jahren gemeinsam mit seinem Vater Architektur fotografiert, streng und nüchtern, präzise und ohne viel Emotion. Als er aus dem Kriegsdienst in seine Heimatstadt zurückkehrte, zog er erst einmal mit seiner Plattenkamera los, die Zerstörung zu dokumentieren: die halb im Rhein versunkene Hohenzollernbrücke am Hauptbahnhof etwa, den zerbombten Wallrafplatz vom Dom aus gesehen und andere schrecklich pittoreske Ruinenlandschaften im Stadtraum. Schon diese Bilder zeugen von seiner Fähigkeit, die Räume auszuloten und ihre Atmosphäre zu erfassen.
Später wird er dies perfektionieren, wird geradezu kongenial die Oberflächen und Materialien zum Sprechen bringen, die Blickachsen und Lichtverläufe sachlich präzise und zugleich in ihrer Wirkung gesteigert darbieten, wird Innenräume, Passagen, Baukörper in Volumen und Wirkung im Bild erfassen. Karl Hugo Schmölz wird mit seiner Fotografie zum Bindeglied zwischen Neuer Sachlichkeit und deren Fortsetzung in den dokumentarischen und konzeptuellen Strömungen der Nachkriegsfotografie. Voller Leidenschaft wird er in seinen Fotografien die Architektur zum Klingen bringen.
Nach dem Tod des Vaters 1938 führt Karl Hugo Schmölz die »Fotowerkstätte Hugo Schmölz« gemeinsam mit seinem Schwager Oskar Ullrich bis 1958 weiter und wird bald einer der anerkanntesten Meister seines Faches. Er fotografiert vornehmlich in Köln für Bauunternehmen, Stadtbauamt und Architekten wie Bruno Paul, Dominikus Böhm, Gottfried Böhm, Wilhelm Riphan, Rudolf Schwarz u. a. Mit vielen ist er befreundet. Seiner ungeheuren Produktivität ist es geschuldet, dass sein Werk die Zerstörung, Neuplanung und den Wiederaufbau Kölns seit den 1930er Jahren fast lückenlos dokumentiert.
Besonders seine Beleuchtungstechnik ist es, die begeistert, verleiht sie doch insbesondere den Innenraumbildern eine zum Teil hyperrealistische Schärfe und Tiefe. So sind die Bilder, die er fotografiert, selbst wie Filmszenen oder Bühnenaufführungen inszeniert. Eine der eindrucksvollsten Serien Schmölz’ ist sicher die der Filmtheater in NRW, die die architektonischen Raum- und Lichtinszenierungen mit denen der fotografischen Inszenierung aufs Wunderbarste vermitteln.
Allenfalls um die Raumproportionen zu veranschaulichen, tauchen Menschen in den Architekturfotografien auf. Und auch alles andere, das stören könnte, wird vor jeder Aufnahme beiseite geräumt. Nur manchmal bleibt ein kleiner Gummibaum in irgendeinem Treppenhaus stehen. Lichtregie und der Standort aber sind immer mit Bedacht gewählt, Aufnahme und Entwicklung mit äußerster Sorgfalt und Akribie ausgeführt. Da wird gewedelt und nachbelichtet, bis das Ergebnis perfekt ist. Besonders großen Aufwandes bedurften die Nachtaufnahmen, die Lichtquellen des Motivs mussten wegen der notwendigerweise verschiedenen Beleuchtungszeiten einzeln abgedunkelt werden. Hier ist die Fotografie, das wird deutlich, mehr als eine Erfüllungsgehilfin der Architektur.
1971 kaufte der Fotograf Wim Cox, einst Mitarbeiter von Schmölz, dessen gesamtes Archiv, aus diesem Fundus speist sich jetzt die Bonner Ausstellung. »Damals dachte keiner daran, dass die Bilder einmal historischen Wert haben würde. Es waren Auftragsarbeiten: keine Kunst, sondern Handwerk«, so Cox im Gespräch.
Ein besonderes Highlight der Schau stellen neben den Vintage Prints (Silbergelatineabzüge auf Barytpapier) im Format 18 × 24 Zentimeter auch einige zwei Quadratmeter große Abzüge dar. Drei der Ruinenfotos sind gar als gigantische 16-Quadratmeter-Bilder abgezogen: die Renaissance-Laube des Kölner Rathauses, St. Gereon und der sogenannte Spanische Bau, der auch Teil des Rathauses war. Die gewaltigen Formate, das ist mit Verblüffung zu bemerken, schärfen den Blick auch für das, was man auf den kleineren Bildern sieht, wie viele »Informationen« auch sie enthalten.
LVR-Landesmuseum Bonn, 6. September bis 28. Oktober 2012. Tel.: 0228/2070-0. www.rheinisches-landesmuseum-bonn.lvr.de