Interview: Heinz-Norbert Jocks
Martin Kippenberger ist ein Künstler, der in keinem bestimmten Genre, sondern fast überall zuhause war. Von Jean-Christoph Ammann einst zum »Moralisten« gekürt, studierte der 1953 geborene Dortmunder in Hamburg nach einer gescheiterten Lehre als Schaufenster-Dekorateur Kunst bei Franz Erhard Walther und Rudolf Hausner. Nach dem Tod der Mutter zog es ihn 1978 nach Berlin, um seine Karriere als Künstler zu forcieren. Am Kreuzberger Sehitzdamm bezog er ein 600 Quadratmeter-Loft, das als »Kippenbergers Büro« Kunstgeschichte machte. Nach dem Postbezirk »S.O.36« benannte er einen Kulturtempel, den er der neuen New-Wave-Szene bescherte. Neben Ausstellungen führte er Aktionen durch und kaufte Bilder von Kollegen – den Brüdern Oehlen, Gerold Herold, Reinhard Mucha, Hubert Kiecol, Andreas Schulze und Walter Dahn. Bei einer von der Kritik verrissenen Aktion im Café Einstein sah man ihn, wie er mit einem Freund – vom Bett aus und Bier trinkend – Urlaubsfilme kommentierte. Kippenberger war als Künstler ein Besessener, ein Anarchist, der sich, zwischen den Stilen wechselnd, nie als Maler verstand, sondern als Mensch, wissend, dass »schlechte Themen« nach einer »guten Malweise « verlangen. Seine Zuständigkeit sah er in der Aufarbeitung von Tagesereignissen, keineswegs in der eruptiven Entfaltung einer großstädtischen Mythologie nach Art der Neuen Wilden. Wenn er behauptete, »aus dem Bescheuerten ein kleines erbärmliches Glück« ziehen zu wollen, entsprach das der Haltung von jemandem, der sich nicht für Kunstgeschichte interessierte, obgleich er sich darin gut auskannte. Er reagierte auf alles, was er irgendwo wahrnahm. So kritzelte er brasilianische Sex-Comics nach, um sie mit stumpfsinnigen Alltagssprüchen zu versehen. Kippenberger starb am 7. März 1997 in Wien. Seit dem frühen Tod verwaltet die nahezu gleichaltrige Galeristin Gisela Capitain in Köln seinen Nachlass, darunter Bilder, Installationen, Skulpturen, Fotos und vieles mehr. Mit ihr sprach Heinz-Norbert Jocks über die gemeinsame Zeit mit Kippenberger und die Bedeutung seiner Kunst anlässlich der monografischen Schau, die ab Juni in der Düsseldorfer Kunstsammlung K21 zu sehen ist.
K.WEST: Wann und wie lernten Sie Martin Kippenberger kennen?
CAPITAIN: Ende 1977 per Zufall über meine Schwester Jenny in Berlin. Im Jahr darauf bezogen wir eine große Büroetage in Kreuzberg, besagtes »Büro«. Dort kam ich zum ersten Mal mit seiner Kunst in Berührung, vor allem mit der Florentinischen Serie »Uno di voi, un tedesco in Firenze «. Ich selbst ging ja damals noch einem anderen Beruf nach, half ihm aber mit meinen Mitteln und führte das Büro mit. Erst 1986 stellte ich ihn dann in meiner gerade eröffneten Galerie aus. Hierher, nach Köln kam ich übrigens 1983 aufgrund einer Anfrage von Max Hetzler, der, von Stuttgart übergesiedelt, mich unbedingt als Assistentin wollte. Drei Jahre später machte ich mich selbstständig.
K.WEST: Kippenberger liebte den Ortswechsel …
CAPITAIN: Er lebte in Hamburg, ging 1977 nach Venedig, um zu malen, und kehrte für kurze Zeit wieder nach Hamburg zurück, bis er 1978 nach Berlin zog, wo er bis 1980 blieb. Mal hier, mal dort, in Italien und eine gewisse Zeit auch in Paris lebend, wechselte er nach Stuttgart für ein knappes Jahr, wo er erstmals bei Max Hetzler ausstellte. Danach kam er nach Köln.
K.WEST: War seine Malerei auch davon abhängig, wo er sich aufhielt?
CAPITAIN: Bezogen auf Malerei, hat Berlin mit einer speziellen Serie, dem Zyklus »Lieber Maler male mir« zu tun. Er hatte einen Filmplakatmaler beauftragt, nach seinen Vorlagen eine Gruppe von Bildern für eine Ausstellung zu malen. Von sich sagte er damals, dass er selbst nicht malte, er wäre Organisator und Berater. Deshalb auch die Gründung seines Büros. Mit diesen in Auftrag gegebenen Bildern grenzte er sich damals von den Neuen Wilden à la Fetting, Salomé oder Middendorf ab. Diese Künstler, mit denen er in Berlin zusammenkam, lud er übrigens zu Aktionen im Club S.O.36 ein.
K.WEST: Worin unterscheidet sich seine Berliner von der Kölner Zeit?
CAPITAIN: Berlin war sicherlich der Zeitraum, in der er seinen Handlungsradius völlig offen bestimmte und sich völlig frei definierte. Es war die Zeit des Clubs, in der er sich als Unterhalter und Angeber bezeichnete. Übrigens ließ er damals auch erstmals Bilder malen. Köln war hingegen die Zeit seines offiziellen Eintritts in den Kunstbetrieb. Alle anderen Stationen waren gekennzeichnet durch den Wechsel, wobei er sich mit keinem Ort besonders verbunden fühlte. Es war für ihn gleich wichtig, ob er in Brasilien alle Eindrücke und Wahrnehmungen wie einen Schwamm aufsaugte, um zu malen oder zu zeichnen, darunter vor allem die »Tankstelle Martin Bormann«, ob er Anfang der 90er Jahre im Schwarzwald seinen »Kafka« vorbereitete, zwischendurch wieder in Köln landete, in Frankfurt ein Atelier bezog oder auf einer griechischen Insel bei seinem Freund lebte.
K.WEST: Was reizte Sie an seiner Haltung gegenüber der Malerei?
CAPITAIN: Ich erlebte ihn nicht bloß als Maler, sondern vor allem als Allround-Künstler, der auch in Medien wie Skulptur, Fotografie, Installation, Zeichnung und Collage, der im Bücher-, Plakate- und Musikmachen zuhause war und die Zeitschrift »Very Good« machte. Mit atemberaubender Geschwindigkeit realisierte er all diese Dinge und Projekte. Im Grunde wie ein Ruheloser, der über einen unendlichen Ideenvorrat verfügte. Die Haltung, die er in Berlin gegenüber der Malerei einnahm, war gewiss keine traditionelle. Entgegen dem, was er 1977 in Florenz machte, als er noch selbst zum Pinsel griff, hinterfragte er mit der Autorenschaft auch das Selbstmalen. Im Büro stand aber auch der Stapel grauweißer Bilder »Uno di voi, un tedesco in Firenze« mit recht ungewöhnlichen Motiven, darunter banale Sujets wie Schuhe, Klopapierrollen, aber auch ein deutscher Polizist mit Wachhund. Sowohl diese Bilder als auch die Serien der frühen 80er Jahre, die kleine Tableaus zusammenfassten, hatten zur Grundlage, was er in Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen, Pornoheften, in »Film, Funk und Fernsehen«, wie er eine Serie nannte, entdeckte. Sein BilderRepertoire sowie die Bandbreite seiner Vorlagen war, weil er keinerlei Begrenzung akzeptierte, unglaublich offen, eben »high and low«.
K.WEST: Was ist das Anti-Traditionelle bei ihm?
CAPITAIN: Dass er sich nicht auf so genannte klar definierte Felder in der Kunst beschränkte. Dass er Skulpturen entwarf, die dem damals Üblichen widersprachen. Denken Sie nur an die Ausstellung »Peter« 1987 bei Hetzler, wo er absichtlich »falsch« gezimmerte Stücke, Verschläge, Regale und ähnliche Konstruktionen als einen Riesenwust in der Galerie abstellte – zum Entsetzen vieler Besucher, die die Nase rümpften und die Flucht ergriffen. Für die meisten hatte das nichts mit Kunst zu tun. Was ihn auszeichnet, ist seine Neudefinition dessen, wie ein Bild aussieht, wenn es aus 21 Einzelbildern besteht, sowie das unentwegte Nachfragen, wozu sich die Medien einsetzen lassen. Er war zudem fähig, an vielem gleichzeitig zu arbeiten.
K.WEST: Lässt sich seine Art, Kunst zu machen, biografisch erklären?
CAPITAIN: Kippenberger wuchs in einem Haus auf, in dem recht dicht sehr unterschiedliche Kunst hing, neben besonders guten auch sehr mittelmäßige Stücke. Bei Museumsbesuchen mit seinem Vater wurde er von dem immer nach dem besten Bild befragt. Kippenberger, der den Vater durchschaute, wählte stets das aus, das in dessen Augen das beste war. Zur Belohnung dafür bekam er oft etwas Geld. Von Anfang an hatte er den unerschütterlichen Willen, Künstler zu werden. Er war sich sicher, dafür begabt zu sein, und zutiefst beleidigt, wenn die Lehrer seine Leistungen im Fach Kunst nicht genügend würdigten. Übrigens wehrte er sich gegen die Einstellung des Vaters, der es für notwendig hielt, dass ein Künstler nicht nur einen bestimmten Stil kreiert, sondern daran auch festhält. Er hingegen behauptete, sein Stil sei, keinen zu haben. Für ihn zählte der Inhalt.
K.WEST: Lässt sich das Spektrum seiner Inhalte auffächern?
CAPITAIN: Es umfasst das gesamte Leben. Es konnte eine absurde kleine Nachricht in der »BZ« sein, die er später zu der Fotoarbeit »Bitte legt mir mein Fotoalbum mit ins Grab« umwandelte. Aber auch die philosophische Frage nach dem eigenen Stand in der Welt sowie das Verhältnis zu den Menschen. Frühe Bilder tragen Titel wie »Angst vor Frau« oder »Mann wie Bumerang«, »Leiden wozu leiden warum«, »Bitte nicht nach Hause schicken« usw. Das ist sprachlich etwas salopp ausgedrückt, aber allumfassend.
K.WEST: Nicht unwichtig war sein Verhältnis zum Dadaismus…
CAPITAIN: Zu denen, mit denen er sich Ende der 70er Jahre intensiv auseinander setzte, gehörten Tristan Tzara, vor allem Picabia, aber auch _ Gerhard Richter, Sigmar Polke, Markus Lüpertz, zu dem er sich in seinen ersten Interviews äußerte, sowie Künstler seiner Generation wie Albert und Markus Oehlen, Werner Büttner, Günther Förg und später Jüngere wie Michael Krebber und Cosima von Bonin. Ganz wichtig für ihn war Andy Warhol mit seiner Idee der Factory. Wie er eine Gruppe von Leuten um sich scharte und den künstlerischen Produktionsprozess in ein Betriebssystem überführte, das reizte Kippenberger ebenso wie die Figur Warhol an sich, seine Selbstdarstellung sowie die Positionierung in der Gesellschaft. Neben Warhol war auch Beuys eine Art Überfigur. Dessen Beiträge zur documenta fand Kippenberger ebenso wichtig wie seine Aktion von 1979 anlässlich der Schließung der Galerie von René Block in Berlin. Da konnte man kleine Wandstückchen der Galerie in von Beuys signierten Tüten mit nach Hause nehmen. Kippenberger war von der Verbreitung der Beuys-_ Miniwerke beeindruckt, deren Palette von Postkarten über Plakate bis zu Multiples reichte, weil es sich um Arbeiten handelte, die fast jeder erwerben konnte.
K.WEST: Also ein kommunikativer Aspekt…
CAPITAIN: Wenn Kippenberger mit einer Werkgruppe erfolgreich war, verfolgte er das nicht zielstrebig weiter, sondern riskierte, mit der Arbeit an etwas Neuem zu scheitern. Unter anderem entstand so auch die so genannte Kafka-Installation nach den Selbstportraits von 1992. Die Installation »The Happy End of Franz Kafka’s ›Amerika‹« war ein langfristiges, auf einer einfachen Idee beruhendes Projekt. Kippenberger sammelte über Jahre hinweg Stühle, sie stellten für ihn eines der schwierigsten Möbelstücke dar. Als er von Kafkas Roman »Amerika« hörte, faszinierte ihn die Geschichte von dem jungen Mann, der, um Arbeit zu finden, nach Amerika auswandert und sich auf die Suche macht, bis er in einem Zirkus landet. Ihm muss Kafkas sinnfälliges Bild von der Welt als Zirkus gefallen haben. Oft haben wir über die Position des Künstlers bezüglich seiner gesellschaftlichen Wertschätzung gesprochen. Das, was man zu erreichen versucht, war für ihn mit einer kommunikativen Situation, also mit Sprache und einem Gegenüber verbunden. In dem Zusammenhang kann man diese Installation sehen. Da sitzen sich an einem Tisch auf Stühlen zwei oder mehr Personen gegenüber, von denen jeder um den anderen wirbt. Dazu passt wohl auch die Art, wie Kippenberger öffentlich lebte. Er saß oft in Cafés, Restaurants oder Kneipen und hielt dort seine Arbeitsbesprechungen und Meetings ab. Er stellte für sein Wirken auch diese Form der Öffentlichkeit her. Für die Installation ließ er neben Stühlen und Tischen auch Objekte wie etwa den Schreibtisch anfertigen, an dem Robert Musil seinen »Mann ohne Eigenschaften« geschrieben hat.
K.WEST: Ist Kippenbergers Kunst existentiell?
CAPITAIN: Ich finde es vom Begriff her etwas zu dick aufgetragen. Aber es hat Anteile davon. Die Seite des Genießens, des Spaß-Haben-Wollens sowie das völlige Ausschöpfen des Erlebten waren mindestens so wichtig wie das existentiell Ernsthafte.
K.WEST: Wie erlebten Sie ihn als Person?
CAPITAIN: Als ich ihm begegnete, war meine Vorstellung von ihm naiver als heute. Er gab sich privat sehr zurückhaltend, manchmal fast schüchtern. Andererseits war er ungeheuer großzügig und neugierig und wollte genau wissen, was einen bewegte und interessierte. Seine ganze Aufmerksamkeit zielte auf sein Wirken als Künstler und seine Kunstproduktion. Es gibt ein Büchlein zur Ausstellung im MAMCO, Genf von 1997 mit einem Spruch von ihm. »Never give up before it’s too late!« Genau das hat er verkörpert. Als er in Frankfurt an der Städel Schule und später in Kassel unterrichtete, hatte er eine Entourage von jungen Kunststudenten um sich, denen er weniger beibringen wollte, wie man ein Bild malt, sondern eher, wie man sich im Kunstbetrieb durchsetzt. Er lehrte, wie man Ausstellungen organisiert oder Kataloge macht, und arbeitete selbst eben nicht zurückgezogen im Atelier. Er praktizierte sein Modell vom Künstler in aller Öffentlichkeit.
K.WEST: Und der utopische Rest seines Werks?
CAPITAIN: Zu dem, was jetzt wirkt, gehört, dass er alle Felder der Kunst bespielte und alles miteinander verknüpfte. Dass er machte, was er wollte. Dass er sich nicht beeinflussen ließ von dem, was andere von ihm erwarteten. Dass er lieber wieder etwas Neues riskierte und dabei das Scheitern einkalkulierte. Er hatte vor nichts Angst. Das ist es wohl, was die Künstlergenerationen nach ihm von ihm übernehmen.
K.WEST: Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe als Nachlass-Verwalterin?
CAPITAIN: Mir liegt daran, das Werk so zu verbreiten und öffentlich zu machen, wie er es immer getan hat. Er wollte, dass die Arbeiten dokumentiert und in Katalogen zu sehen sind. Er hat nie auf den Museumsmann oder Ausstellungsmacher gewartet, der dies und das für ihn ermöglichte. Lieber nahm er es selbst in die Hand. In diesem Sinn versuche ich den Nachlass zu verwalten. Ein Problem dabei ist, dass keine Arbeiten mehr hinzukommen. Deshalb bin ich gezwungen, zu selektieren. Bestimmte Gruppenausstellungen sind wichtig und vor allem monografische Ausstellungen in Museen wie die jetzt im K21.
K 21, Düsseldorf, in Kooperation mit Tate Modern, London; 10. Juni bis 10. September; Tel.: 0211/83 81 600; www.kunstsammlung.de