TEXT: GUIDO FISCHER
Sonny Rollins hatte stets eine Vorliebe für Imagewechsel. Mal inszenierte er sich für das Titelbild seines Albums »Way out West« als Western-Pistolero. Oder verwandelte sich in einen angsteinflößenden Fighter mit Irokesenschnitt. Jetzt ist er 82 Jahre mit schlohweißem Vollbart und hat seinen Stil. Um eine gewisse Coolness auszustrahlen, darf bei Konzerten die Sonnenbrille nicht fehlen. Doch wäre das Accessoire für Rollins verzichtbar. Denn noch bei den bekanntesten Jazz-Hits hat er es drauf, vielen seiner jüngeren Kollegen die Grenzen aufzuzeigen.
Mit seiner Zirkulartechnik legt er etwa bei »Falling in Love with Love«, mit überblasenen Attacken und heftigem Sound-Gebräu, nonstop eine viertelstündige Improvisationspiste, über die sein Saxofon hingleitet. Ohne danach lange Luft holen zu müssen, kann er sich dann handzahm geben und buttersahnig in die Melodie des Standards »I’ve Grown Accustomed To Your Face« eintauchen. Welche Gangart Rollins auch einschlägt, man wird Ohrenzeuge einer Frische und Energie, der sechs Jahrzehnte künstlerischer und körperlicher Schwerarbeit nichts anhaben konnten.
Zwar musste der letzte Veteran einer legendären Jazz-Epoche in den 1980er Jahren eine kleine Regenerierungspause einlegen. Aber anders als die Weggefährten Miles Davis und John Coltrane schien er für seine exzessiv mit Drogen und Alkohol ausgelebten Momente gut gerüstet. Rollins blieb präsent, seit er um 1950 am Tenorsaxophon seine Karriere begonnen und dafür in Thelonious Monk, Miles Davis und Max Roach sofort ideale Partner gefunden hatte. Seit der 1956 aufgenommenen Schallplatte »Saxophone Colossus« gilt der in Harlem aufgewachsene Zwei-Meter-Mann als Gigant im Jazz.
Er hat alle Auszeichnungen erhalten, die ein Musikerleben bekommen kann: darunter den »Polar Music Prize«, Ehrenmedaillen von Bill Clinton und Barack Obama sowie – nach Pablo Picasso und Keith Jarrett als Dritter – die Ehrenbürgerschaft des südfranzösischen Hafenstädtchens Juan-les-Pins.
Rollins scheint immer noch unterwegs, um dort anzukommen, wohin er künstlerisch will: »Ich möchte besser spielen, bessere Ideen haben, mehr lernen«, wie er jüngst seinen Anspruch formulierte. Vor allem der Austausch mit talentierten Musikern bietet ihm die Chance, sich weiterzuentwickeln. Vier solcher Spitzenkräfte aus dem Modern Jazz hat Rollins für sein einziges Deutschland-Konzert bei den Leverkusener Jazztagen ausgewählt, das sich die Organisatoren etwas kosten lassen. Rollins weiß, was er wert ist, und lässt sich pro Auftritt mit mehreren zehntausend Dollar bezahlen. Würde er noch ein paar Tage dranhängen, könnte er vor Ort mit Bassist Marcus Miller und Gitarrist John McLaughlin über gemeinsame Zeiten bei Miles Davis plaudern. Aber wer sollte sich das leisten können?
2. bis 11. November 2012, Forum Leverkusen; www.leverkusener-jazztage.de