TEXT: ULRICH DEUTER
Jochen »Jimi« Bowatzki ist Arbeiter in einer Stahlfabrik im Revier. War. Jetzt ist er rausgeschmissen. Weil nur die Arbeit das ist, »was ihm Würde verleiht«, wie sein Freund Markus es IG Metall-mäßig ausdrückt, will Jimi sich das nicht bieten lassen. Schnappt sich erst ein Bolzenschussgerät und dann den Markus und fährt mit ihm zum Haus seines Ex-Chefs, um ihn zur Rede zu stellen. Oder Schlimmeres. Jimi, gespielt von Michael Schütz, ist berufstypisch kantig und schlicht, in der Schauspielhaus-Kleinspielstätte »Theater unten« tritt er auf mit Bud-Spencer-T-Shirt und prolligem Gang. Doch da es seinem Autor, dem 30-jährigen Dirk Laucke, nicht ganz gelungen ist, seine Hauptfigur ohne Blasen und Risse zu gießen, versteckt sich unter Jimis stahlschlichter Malocheroberfläche ein hellwacher Zeitdiagnostiker, dem Begriffe wie BWL und Cash Flow problemlos von der Zunge gehen und dessen Satzbau reflektiert und ironiegesättigt ist. Kurz, Laucke hat für sein Auftragsstück fürs Bochumer Schauspielhaus einen Zwitter aus ein bisschen Ruhrpott-Naturalismus und viel Sprachlust geschaffen, was aber Schütz prima in die Waage bringt. Dafür ist Lauckes Story absolut stimmig, weil ein Gemeinplatz: Der Klassenantagonismus ist längst »vermittelschichtet«, das mit dem reichen bösen Boss dort, dem armen guten Proleten hier gibt es nur noch in der Filmwelt, woher Markus auch die Idee mit dem »Bossnapping« hatte. Der Kapitalist ist nicht mehr anwesend, nur noch seine Frau und deren Escort-Lover. Und außerdem längst nicht mehr Herr seiner Firma, die nur mit Chinesen-Hilfe überlebt. Oben ist so ausgemustert wie unten, Widerstand kann im abstrakt gewordenen Kapitalismus nur ins Leere gehen. Nicht genug damit, in Wahrheit liegt Jimis Chef dement im Keller neben dem Liebhabermodell einer Zeche (was sicher symbolisch gemeint ist). »Jimi Bowatzki hat kein Schamgefühl«, heißt das Stück. Hat er aber doch, denn er erschießt sich am Ende mit dem Bolzenschussgerät.
Dass der gut einstündige Uraufführungsabend dennoch Freude macht, liegt an dem sichtlichen Spaß, mit dem das Ensemble in der Debüt-Regie Christina Pfrötschners die Farce bedient und vom Sozialdrama absieht. Und besonders an der blitzenden Verve, mit der Anke Zillich das angelaufene Silber ihrer komplett aus dem Lot geratenen Boss-Gattin Elena poliert.
Am Abend zuvor hatte es im selben Haus, ein Stockwerk höher, bereits ein anderes Widerstand-im-Kapitalismus-Stück gegeben, Brechts in Chicago spielendes »Im Dickicht der Städte«. Doch leider war dem Regisseur, Roger Vontobel, nach knapp 20 Minuten die – zugegeben etwas komplizierte – Dramatik dieses Werks entglitten; verführt von Brechts Satz: »die unendliche Vereinzelung des Menschen macht eine Feindschaft zum unerreichbaren Ziel«, hatte er geglaubt, es sei ein beliebiges, pseudo-aggressives Herumhopsen und -schubsen gefragt, hinter dem fahle Video-Einspielungen huschen, die sich nach der Atmosphäre von Scorsese-Filmen sehnen. Den traurigen Höhepunkt dieses Missverständnisses bildete der Auftritt zweier ausgestopfter Couch-Potatoes, die Chips in sich hinein und um sich herum auf die Bühne warfen. Was einen der Premierenbesucher in Reihe zehn zu der Bemerkung veranlasste: »Genau so sind sie, die Amis«. Tiefer kann man nicht sinken. Nicht als Zuschauer. Nicht als Regisseur.