TEXT: GUIDO FISCHER
Wie jedes Musikjahr hat 2015 runde Komponisten-Gedenktage zu bieten, die sich im Klavier-Festival Ruhr spiegeln. So gratulieren etwa Olli Mustonen und Andrey Gugnin in ihren Recitals Jean Sibelius, dem Vater der finnischen Musik, nachträglich zum 150. Geburtstag. Den 100. Todestag von Alexander Skrjabin nehmen die so unterschiedlich das Klavierspiel denkenden Pianisten Mikhail Pletnev und Denis Matsuev zum Anlass, die von Chopin geprägten, sich ins Spirituelle ausdehnenden Klangwelten zu erkunden. In der Liste der Solisten, die ihrem russischen Landsmann Tribut zollen, taucht zudem das enorme Talent Pavel Kolesnikov auf.
Doch ausgerechnet der geniale Skrjabin-Interpret Daniil Trifonov scheint bei dem Festival gut ohne eine Note des Komponisten auszukommen, den er vergöttert, so sehr, dass er gar von ihm träumt. Was die offizielle Programmankündigung für sein Solo angeht, präsentiert sich Trifonov als Skrjabin-Abstinenzler. Auf die Liszt-Klavierbearbeitung eines Orgelwerks von Bach folgt Beethovens letzte Klaviersonate. Nach der Pause wird sich Trifonov an die rauschhaften, zugleich kontrapunktisch komplexen Sinfonischen Etüden von Robert Schumann verausgaben.
So muss man wohl auf die Zugaben warten, bis der 24-jährige Russe auf sein Skrjabin-Repertoire zugreifen wird. Dass ihm die mystische Klangsprache mit ihren ekstatisch schillernden Farben liegt, hat Trifonov auch auf CD bewiesen. So machte er 2013 mit dem Live-Mitschnitt aus der New Yorker Carnegie Hall heftig auf sich aufmerksam, als er ein fast monströses Programm stemmte: mit Sonaten von Skrjabin und Liszt bis zu Chopins 24 Préludes.
Verblüffend, wie ein so junger, ganz und gar jungenhaft wirkender Mu siker das Pensum bestechend brillant bewältigte. Mehr noch. Das eigentliche Ereignis lag in seiner Kunst, das manuelle Handwerk im Ausdruck und Gestalterischen aufzulösen. Während andere bestens ausgebildete, ähnlich begabte Jung-Pianisten gern zur Unterhaltung mal eine zirzensische Pirouette auf der Tastatur anbieten, scheint Trifonov aus diesem Alter bereits heraus und sehr viel weiter. Dass es sich um einen absolut außergewöhnlichen Künstler handelt, haben Altmeister wie Alfred Brendel und Gidon Kremer bestätigt. Auch Martha Argerich, die sich nicht leicht hinreißen lässt, war begeistert, nachdem sie auf Youtube auf einen Konzertmitschnitt Trifonovs gestoßen war. »Was er mit seinen Händen macht, ist technisch unglaublich«, so die argentinische Instanz am Klavier: »Aber es ist auch sein Kontakt zu den Tasten, da herrscht eine solche Zärtlichkeit und gleichzeitig das teuflische Element, ich habe so etwas noch nie gehört.«
Mit ihrem begründeten Enthusiasmus hatte Argerich alle Jurys in ihren Entscheidungen bestätigt, die den russischen Wunderknaben auszuzeichneten. Erspielte er sich 2010 beim Warschauer Chopin-Wettbewerb bereits den dritten Rang, gewann er ein Jahr später den Arthur Rubinstein-Klavierwettbewerb in Tel Aviv und den um ein Vielfaches prestigeträchtigeren Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb. Zwanzig Jahre alt war er damals.
Damit standen ihm unverzüglich Konzerthäuser von der Londoner Wigmore Hall bis zur Züricher Tonhalle offen. Er hat mit den New Yorker und Wiener Philharmonikern musiziert. Hat mit seinem Förderer Valery Gergiev und dem Mariinsky Orchester Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 D herausgebracht und gezeigt, dass man dieses Repertoire-Mammut ohne funkenschlagendes Oktaven-Gedonner glänzend in den Griff bekommt.
Wesentlichen Anteil an Trifonovs Entwicklung vom frühreifen zum früh gereiften Meisterpianisten haben seine beiden Lehrer. Der Neunjährige verließ mit den Eltern das 500 Kilometer östlich von Moskau gelegene Nizhny Novgorod, um am berühmten Gnessin-Institut in der Hauptstadt bei Tatiana Zelikman zu studieren. Mit 17 wechselte Trifonov an das renommierte Institute of Music in Cleveland, um seine Studien bei Serge Babayan fortzusetzen. Noch immer kehrt er zu seinen Lehrern zurück, um sein Spektrum zu verfeinern und zu intensivieren.
Darüber hinaus lernt er viel von alten Schallplattenaufnahmen der großen Vorbilder, von denen er besonders Horowitz, Cortot, Sokolow und Argerich verehrt. Nach 2012 und 2013 gastiert Daniil Trifonov zum dritten Mal beim Klavier-Festival Ruhr. Wer sich vorab einen Eindruck von der musikalischen Sternstunde verschaffen möchte, möge es so machen wie Martha Argerich. Auf Youtube sind Mitschnitte von Trifonovs Recitals zu sehen, die er 2014 in der Carnegie Hall und beim Schweizer Verbier-Festival mit Bach, Beethoven und Schumann gegeben hat. Danach will man diese Musikerpersönlichkeit live erleben.
Klavier-Festival Ruhr: 17. April bis 4. Juli 2015, Daniil Trifonov spielt Werke von Bach, Beethoven, Schumann: 10. Juni Stadthalle, Mülheim an der Ruhr