Dass Robert DeNiro hier den Late-Night-Comedian Murray Franklin spielt, ist eine Referenz an Martin Scorseses »The King of Comedy« von 1982 mit vertauschten Rollen. Während bei Scorsese Jerry Lewis das Idol darstellt und DeNiro dessen gedemütigten Fan, den obsessiven Stalker Rupert Pupkin, hat er in Todd Phillips’ »Joker« den Part des Dominanten: Er führt Arthur Fleck, den Mann, der sich in den »Joker« verwandeln wird, vor laufender Kamera vor, macht sich über ihn lustig und ihn zu seinem eigenen Witz. »Joker« spielt zu derselben Zeit, um 1980, in der sein künftiger positiver Antagonist »Batman« heranwächst, aus dessen Comic-Serie er als eines der kreativen Monsterwesen von Gotham City stammt. Beide sind Außenseiter, beide traumatisiert, einander ebenbürtig; beide hatten keine Wahl, aber treffen eine jeweils andere Entscheidung: zum Guten bzw. zum Bösen.
Arthur Fleck jobbt als Miet-Clown, wandert über die Straßen mit Werbetafeln, tritt für Kinder im Krankenhaus auf, möchte Erfolg, aber zieht nur die kleinen Karten: ein Loser, abhängig von Psychopharmaka. Seine kranke Mutter Penny (Frances Conroy) nennt ihn Happy – auch dies ein trauriger Witz. Arthur fliegt mit schlaffen Flügeln übers Kuckucksnest, bevor er sich häutet zum Phoenix und aufsteigt. Sein Lachen hat etwas Tourette-artiges, unkontrollierbar, gackernd hoch und herausfordernd zu spottenden oder aggressiven Reaktionen. Emotional schockgefroren und innerlich zerrüttet, wird er irre und zum Rebellen wider Willen, der mit einem geschenkten Revolver in der Subway drei Gangster abknallt – sein Initiationserlebnis. Er kann bestimmen, auch das, was lustig ist und was grausig, was sterben muss oder leben darf. Die grell geschminkte Fratze ist seine Maske, hinter der die Menschen Furcht und Schrecken, Lust und Selbstermächtigung sehen (wollen). Die Rache wird sein größter trauriger Spaß.
Den »Joker« verkörperten in »Batman«-Adaptionen Jack Nicholson, Heath Ledger, Jared Leto – und nun Joaquin Phoenix. Auch er als des Chaos’ wundersamer Sohn. Für Gotham City, dem neuen Babylon und Synonym für Gewalt, Angst und Verfall, in der Ratten sich ausbreiten, Zivilisationsmüll sich häuft und die Ordnungskräfte einknicken, mutiert Arthur Fleck zum anarchischen Gegengeist. »If you can make it there, you make it anywhere«, die Zeile aus der New-York-Hymne des Frank Sinatra, und das sinfonisch triumphale »Smile«, mit dem Charles Chaplin das Schwarzweiß der Realität weich und bunt stimmte, waren selten so unwahr wie in diesem Panorama der gemeinen, vergifteten, tiefgekühlten Farben. »Joker« feiert virtuos den Heroismus des Scheiterns.
»Joker«, Regie: Todd Phillips, USA 2019, 122 Min., 10. Oktober