TEXT: ANDREAS WILINK
Der Krieg ist vorbei. Auch der gegen Japan. Zeit für andere Männerspiele. Am Strand des Pazifik tollen sie und schaffen sich Befriedigung mit einer aus Sand modellierten barbusigen, sich spreizenden Schönen. Einer der Heimkehrer aus den Schlachtfeldern, wo sie die besten Jahre ihres Lebens ließen, ist Freddie, wild, jähzornig und traumatisiert, wie so viele. Ausgemustert. Wie nun Fuß fassen? Amerika genießt den Frieden, Wohlstand und Komfort, der sich in den Kaufhäusern präsentiert, wo Freddie als Kundenfotograf jobbt und nebenbei hochprozentiges Feuerwasser braut, um sich zu betäuben. Aber den gloriosen Jahren gegenüber steht das moralische Vakuum, nachdem der gerechte Krieg gewonnen wurde: pursuit of happiness in der Wüstenei der Seelen.
Hier setzt Paul Thomas Anderson ein, um die Leere mit einem robusten Zentrum zu füllen. Er bringt Freddie in Kontakt mit dem charismatischen Lancaster Dodd. Der Geschäftemacher, Heilsbringer, Pseudowissenschaftler, Schriftsteller und Religionsstifter von eigenen Gnaden nimmt ihn in Dienst und formt den labilen Charakter, der sich in seinen aggressiven Schüben nicht unter Kontrolle hat. Ein Dompteur, der ein wildes Tier zähmt. Dodd und seine ehrgeizige Ehefrau (Amy Adams) versammeln einen Kreis von Jüngern um sich. Der »Master« verkündet in seinen Sessions eine verquaste Spiritualität (»Die Quelle von allem bist – Du«), praktiziert, therapiert, manipuliert und hypnotisiert, schickt seine Anhänger auf Zeitreisen und speichert Informationen über sie. Hinter der totalitären Dominanz ist unschwer das Porträt des Scientologen L. Ron Hubbard zu erkennen, dem sein Darsteller auch physisch recht nahe kommt. Als Analyse ist »The Master« nicht sonderlich erhellend, eher schon als Schauspiel großartig. Duell der Giganten, die den »Oscar« fest im Blick haben, weder Manierismus noch Overacting scheuen: Joaquin Phoenix mit seinem holzschnitthaft zerfurchten, harten, finsteren Gesicht spielt bei mahlendem Kiefer den Freddie wie eine Brando-Reminiszenz, während Philip Seymour Hoffman als flamboyanter, gefährlich ruhiger und pathetisch komödiantischer Dodd den Orson Welles des Citizen Kane im Blut hat.
Anderson ist wie immer ein ungemein stilvoll, auftrumpfend eleganter Regisseur. Die fabelhafte Rekonstruktion der Epoche um 1950 in ihrer verdrucksten Lüsternheit, Autoritäts-Hörigkeit und repressiven Gesinnung wird konterkariert von dem betörend dissonanten Soundtrack, der den Aufbruch der Moderne markiert. Kosmetik des Bösen, aber sehr attraktiv anzuschauen.
»The Master«; Regie: Paul Thomas Anderson; Darsteller: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Laura Dern; USA 2012, 136 Min.; Start: 21. Februar 2013.