// Zwei Sätze genügen. »It’s a strange world, isn’t it« lautet der zentrale Satz in »Blue Velvet«. »This world is wild at heart and weird on top«, echot es aus dem Splatter-Melodram »Wild at Heart«, dem Gewinner der Goldenen Palme in Cannes aus dem Jahr 1990. David Lynch ist der Mystery-Man des Weltkinos – in seinen künstlerischen Visionen ein Apostel des Untergangs, in seiner Lebenswirklichkeit aber ein Prophet kosmischer Harmonie. Lynch in seinen bis zum Hals geschlossenen Hemden, wie maßgeschneidert für den »Kokon aus Angst«, von dem er sich umgeben wähnt, gleicht darin seinem Alter ego Kyle MacLachlan, dem guten Jungen Jeffrey Beaumont aus der gepflegten Provinzstadt von »Blue Velvet« und FBI-Agenten Dale Cooper aus den Wäldern von »Twin Peaks«.
Der 1946 geborene, in Montana, Washington, South Carolina und Idaho aufgewachsene »Czar of the bizarre« hat sich wie kein zweiter den Titel des postmodernen Filmemachers erworben, dessen Werk sich zusammensetzt aus trivialen Gesten und Klischee-Posen, Codes und Chiffren der Populärkultur, die er freilich mit ungeheuren Kräften und Triebstrukturen auflädt.
Lynch kommt von der bildenden Kunst. Nachdem er den Plan, Schüler von Kokoschka in Salzburg zu sein, schnell aufgegeben hatte, studierte er an den Schools for Fine Arts in Boston und Philadelphia, bevor er sich um 1970 dem Film zuwandte. Als Einflüsse bekundet er selbst: Jackson Pollock, Edward Hopper und Francis Bacon, auch der Surrealismus gehört dazu. Vermutlich besonders die narrativen Collagen des Max Ernst und René Magrittes plakative Bilderrätsel – man denke an die farbintensive, ihr Idyll verkehrende Blumenunschuld, die in den mikrokosmisch erforschten Vorgärten in »Blue Velvet« wächst, wo zwischen wimmelndem Ungeziefer plötzlich das verwesende Ohr eines Menschen liegt.
Fotos: Patrick Gries, © David Lynch
Wo bei Hopper die Fassade unversehrt bleibt und nur unter der Haut das Unbehagen in der Kultur spürbar wird, birst bei Bacon das intakte Individuum, zerreißt die Identität förmlich, dekonstruiert in seriellen Folgen und verflüssigt sich wie auf den Action Paintings des amerikanischen Expressionisten Pollock. Wie eine Reaktion auf die Farbexzesse wiederum wirken Lynchs frühe Kurzfilme »Six Men Getting Sick« und »Alphabet«, worin die Figuren Farbe erbrechen. Aber auch seine großformatigen Gemälde, die in ihrer monströsen Energie schier platzen, scheinen, als würden die Bildoberflächen ebenso gepeinigt wie Leib und Seele seiner Filmfiguren.
Es lässt sich keine klare Grenze ziehen zwischen dem Filmemacher und dem bildenden Künstler. Diese Erkenntnis schärfte sich schon 2007, als die Fondation Cartier in Paris die Überblicks-Ausstellung »The Air is on Fire« ausrichtete, die nun die Basis legt für die Schau im Brühler Max Ernst Museum. Lynchs Gemälde, Zeichnungen, grafische Arbeiten, Fotos und Installationen sind zwar häufig wie Skizzen zu lesen, die den Obsessionen und Gewaltausbrüchen, dem Ekel-Appeal und der Ästhetik des Hässlichen vorgreifen oder diese nachverfolgen. Doch bieten sie für sich betrachtet eine beklemmend autonome, vitale Existenz.
Über allem regiert der Klang, eine dumpf tosende, maschinenhafte Geräusch-Kulisse (das Sound-Design, das seinen Filmen erst ihre halluzinatorische Irritation beimischt, verantwortet der Künstler stets selbst). Sie legt sich über den labyrinthischen Parcours der Museumsräume wie eine akustische Wucherung des trügerisch Unbewussten. In Korrespondenz mit Lynchs Bildkompositionen löscht sie das Gegenständliche aus.
Unser Irrlauf durch die Schreckenskammern, bös wuchernden Metaphern und Phobien, die Menagerie der Freaks und sexuell Abartigen steht im Banne des bohrenden Blicks. Das Werk starrt uns an: wie das Auge, das aus der Kapuze des »Elephant Man« glotzt – jener großartig düsteren, herzzerreißend traurigen Filmbiografie aus dem London der Industrialisierung über ein zartfühlendes Monstrum, das als Jahrmarktsattraktion missbraucht und zum Ernstfall der Humanität wird.
Deutungshilfe wird vorenthalten. Der Künstler – obwohl ehemaliger Pfadfinder – leistet keinerlei Begleitschutz, sondern hält dagegen. Lynch stört sich daran, Kunstwerke zu erklären und sie (und sich) auf die Psychoanalyse-Couch zu verfrachten. »Ich analysiere meine Ideen nicht. Ich verliebe mich einfach in sie«. Die freudianische Theorie schätzt er als lähmend für kreative Impulse ein; lieber betreibt er seit Jahrzehnten transzendentale Meditation, folgt dem Buddhismus und setzt auf die Kraft der Erfahrung und Intuition. Wie die Surrealisten eine Écriture automatique behaupteten, kommt es offenbar auch über David Lynch: Es schreibt ihn. Es malt ihn. Es filmt ihn.
Wie aber soll man in Lynchs Bildobjekten nicht biografische Spuren, Störanfälligkeiten und ungeheuerliche Hirngespinste sehen, die ihrem Erschaffer den Kopf bedrücken, bis der als »Eraserhead« explodieren müsste?
Lynchs Kunstwerke bilden – zumal wenn man sich die imposant ambitionierten Anmerkungen von Werner Spies im begleitenden Katalog zu Gemüte führt – ein beängstigend verzweigtes, sich unendlich spiegelndes Bezugssystem. Alles kehrt wieder in den synthetischen, eklektischen Arbeiten Lynchs. Ihre Lust am Experiment, an der phantastischen Auflösung, an scary monsters produzieren »nichts Abartigeres als das Normale und nichts Normaleres als das Abartige«, so der Filmwissenschaftler Georg Seeßlen in seiner Untersuchung über »Lynchtown«.
Dieser trivialmythische Topos wurde in »Blue Velvet«, »Wild at Heart« sowie der subversiven Fernsehserie »Twin Peaks« zum einigermaßen konkreten Zielort, während Lynchs folgende Filme sich hermetischer gegen die Wirklichkeit (oder Hyperwirklichkeit) abdichteten: »Lost Highway«, »Mulholland Drive« und »Inland Empire« schauen durch »verschwommene Scheiben des menschlichen Ichs auf dunk-le Abgründe«, wie es der Regisseur bei der Premiere seines jüngsten Psycho-Horror-Thrillers ohne Thrill auf Venedigs Biennale nannte.
Das tatsächliche Inland Empire liegt eine Autostunde östlich von Los Angeles. Mit Bergen und Talmulden, Äckern und Obstgärten ist es ein begehrtes Wohngebiet und beliebter Drehort für Hollywood. Eine trotz des martialischen Namens privilegierte Landschaft, ein Locus amoenus – insofern Gegenmodell zu den von Lynch ausgeleuchteten Dunkelkammern.
Lynchs Grundgeste ist die Kreisbewegung: statt linearer Entwicklung ein spiralförmiges, introvertiertes Wiederholungsmuster in Endlosschleife. Sigmund Freud sprach davon, dass der Mensch nicht Herr sei im eigenen Haus sei. Darin wenigstens wird ihm Lynch zustimmen, zumal Häuser und ihre ausweglosen, beengenden Verhältnisse als bildnerisches Motiv lange Schatten werfen. In »Inland Empire« sieht man etwa einen Wohnraum, in dem sich drei Figuren mit Hasenköpfen (Zwitterwesen aus Lynchs Kurzfilmserie »Rabbits«) befinden, herumsitzen, bügeln: So eine Zimmer-Installation eröffnet die Ausstellung, deren bürgerliches Interieur immer ein Täuschungsmanöver ist – und den Besucher wie durch eine Schleuse einlässt.
In Brühl hängen grafische Arbeiten als Reminiszenz an das Schwarzweiß des alten Kinos und an märchenhafte Kindheitsbilder (die gute Fee ist auch Protektor des kitschigen Finales von »Wild at Heart«). Es gibt Fotografien von aufgelassenen Maschinenräumen und verrottenden Fabrikhallen in Polen oder im Osten Deutschlands – konkrete Aufnahmen, die wie das »House of Electricity« zugleich geisterhafte Atmosphäre schaffen. Die gewaltigen Materialbilder und ihre Aussonderungen, als könnten sie kaum im Status der Unbeweglichkeit ausharren, wurzeln dort, wo Anselm Kiefers geschichtete Elementarbilder ihre verlorene Heimat haben. Kleine gestrichelte Formate wirken fast wie vorzeitlich naive Zeichnungen, deren Titel ironische Verweise bilden: »Everybody loves somebody sometime« heißt es im Anklang an Dean Martin.
Manches wirkt bloß kurios, manches virtuos wie die präzisen Reliefbilder. Bedrängend sind die Imaginationen organischer Phänomene, klaffender Deformationen und chirurgischer Operationen am Weiblichen und Geschlechtlichen; auch die Albträume mit embryonalen Wesen (Wiederkehr des Babys mit quellenden Gedärmen, das sich im Kopf von Henry in »Eraserhead« einpflanzt), insektenhaften Gestalten und Prothesen-Menschen.
Auf dem Highway der Illusionen führt der Weg nur zu einer Wahrheit, die da lautet: Es gibt keine. Alles schizoider Schein. In Lynchs Bildwelt sind Vernunft und Moral ebenso suspendiert wie Kausalität und Wahrnehmungslogik angesichts medialer Fiktionen, übersinnlicher Erscheinungen sowie seelischer wie körperlicher Metamorphosen. Durch seine Klangräume hallt dissonant der Schrei des gespaltenen Ichs nach Liebe, Unversehrtheit und dem Zustand glückseliger Natur. //
Bis 21. März 2010; die Ausstellung ist für Besucher unter 18 Jahren nicht geeignet; Katalog mit über 200 farbigen Abbildungen, 34 Euro im Museumsshop; www.maxernstmuseum.de