Wenn es, so könnte man fantasieren, Herzogs »Fitzcarraldo« nicht gegeben hätte, ob Christoph Schlingensief dann 25 Jahre später im brasilianischen Manaus Wagners »Fliegenden Holländer« inszeniert und die Idee entwickelt hätte, in Afrika ein Operndorf zu bauen? Herzogs exzentrischer Abenteurer, der die Elemente in Bewegung setzt, um aus Liebe zur Musik, im peruanischen Urwald, einen Tempel der Kunst zu errichten, ist zum Prototyp und Synonym der besessenen Monomanie und Vitalität seines Regisseurs geworden.
Für Herzog, der seit langem in den USA lebt und dort berühmter ist als heutzutage in seiner deutschen Heimat, gehört der Aufbruch, die permanente Revolution des Ichs zu seiner DNA. Ein heroischer Mensch mit prophetischen Anteilen – und ein Träumer, der diese nicht in ihrer Nachtregion belässt. Dass in ihm eine romantische Seele wohnt, die für ihn auch im deutschen expressionistischen Stummfilm und dessen Dämonen west, hat ihn wiederum in Frankreich zu einer Kultfigur werden lassen.
Werner Herzog, der am 5. September 80 Jahre alt wird und dem aus diesem Anlass die Kinemathek in Berlin eine Ausstellung zu Leben und Werk ausrichtet, ist unter den Filmemachern des Neuen Deutschen Films eine Ausnahmeerscheinung, obgleich sie – »Jeder für sich und Gott gegen alle«, um es mit einem anderen Herzog-Film zu sagen und auch mit dem Titel seiner aktuell erschienenen Buch-Erinnerungen – ohnehin ein Rudel von Sonderfällen waren, darunter Fassbinder, Kluge, Reitz, Schroeter, Syberberg, Trotta, Wenders.
»Fitzcarraldo« ist einer von insgesamt fünf Filmen, die der in München geborene Herzog mit dem eineinhalb Jahrzehnte älteren Klaus Kinski gedreht hat: in Wahn und Hassliebe vereint. Zwei Gipfelstürmer, zwei Berserker, zwei Einzelgänger, die sich im Irrationalen, im Magischen Denken und Visionären trafen.
Fitzcarraldo ist ein »Eroberer des Nutzlosen«: wie die Kunst sich selbst genug ist. Das Bild des Dampfschiffes, das seine Leute über einen Berg schleppen, ist dafür das enigmatische Bild. Aber der Einzelne scheitert, wie zuvor Herzogs und Kinskis von seiner Leidenschaft getriebener Goldsucher »Aguirre«: im Stich gelassen von seiner Mannschaft und den Indios, besiegt von der Natur, die sich nicht schert um Wunsch und Wehe eines Menschleins. »Die Last der Träume« hieß eine Dokumentation, die über die irrwitzigen Dreharbeiten entstand, die kurz davor waren, in Mord und Totschlag zu enden.
Was bleibt, ist das Furcht und Mitleid erregende Solo des Schauspieler-Selbst-Darstellers Kinski und eine grandiose Bildergeschichte, ein Monument des Willens und einer filmischen Anstrengung, für die Deutschland immer zu klein gewesen ist.