TEXT: ULRICH DEUTER
Die Ausstellung wagt eine These. Nämlich dass die Hermetik des Innenraumes zunehme und die Position des Hinausblickens im selben Maße unsicherer werde. Früher stand da jemand an einem Fenster, man sah seinen Rücken und blickte mit ihm hinaus in eine verheißungsvolle Ferne. Heute hängen Vorhänge vor den Fenstern. Ausblicke zeigen ins Dunkle, es herrscht ein lähmendes Übermaß an Innen, das nur noch den Dunst von Bewohnern gelassen hat. Wenn Menschen da sind, dann als Ornamente der Architektur.
Die Ausstellung kann diese These belegen: durch die Auswahl ihrer Fotografien. Natürlich ist so ein Beweis zirkulär. Aber Phänomene wie die ungebremste Explosion der Städte und die auf allen Ebenen stattfindende Manipulation der Natur, Begriffe wie Globalisierung oder Weltinnenpolitik sind Indizien dafür, dass das Innen das Außen frisst, ja dass das Denken eines Außen zunehmend unmöglich wird. »Inside//Outside« im Duisburger Museum Küppersmühle benennt also nicht die befruchtende Konkurrenz der beiden möglichen Aufenthaltsorte der Menschheit. Sondern eher das, was die Ausstellung im Untertitel trägt: »Innenraum und Ausblick«.
Und letzterer, wie gesagt, schwindet. Eher müht sich der Einblick, der von nirgendwo her. Zwei gleich große Fenster in der Wand, je knapp anderthalb mal knapp zweieinhalb Meter, dicht übereinander. Dünner weißer Rahmen, Blick hinaus auf ein paar Autos und einen kahlen Baum, der hinter beiden Fenstern in die Höhe fingert. Falsch, der Blick geht gar nicht hinaus, sondern hinein: Der Baum ist eine Spiegelung, allerdings präsenter als das leere, unfreundliche Innen, auf das das Fenster geht. Und natürlich: Die Fenster sind gar keine, es sind Großfotografien von Fenstern, die hineinblicken und zugleich zurückspiegeln, Farbfotografien von exakt den Maßen der Fensterrahmen. Rahmen ohne Umfeld also, was die Blicke des Betrachters durch diese Fenster zu Blicken wie aus lidlosen Augen macht. Und weil eine glänzende Plexiglasscheibe die Fotos deckt, spiegelt sich darin der Raum des Museums: ein Innen, das sich im gespiegelten Außen auf dem Blick in ein Innen fängt.
Dieses Nichts an außen mit der Sehnsucht nach dem unerreichbaren Innen in Sabine Hornigs titelloser Großfotografie von 2005 besitzt einen Konterpart: die »Igreja de São Francisco de Assis Salvador de Bahia« von Candida Höfer. Das Foto von 2005, eine Totale von der Orgelempore schräg hinab auf Vierung und Chor der brasilianischen Kirche, zeigt ein schreiendes barockes Gestaltungsdelirium, eine Architektur von kolossaler, in ihren eigenen inneren Hohlraum hineinwuchern wollender Gewalt. Die Kathedrale ist menschenleer wie all die Räume der Becher-Schülerin Höfer – Räume, die aus ihren Wänden heraus leuchten und um die he-rum doch kein Außen zu sein scheint. Räume, so leuchtend schön wie Ungeheuer.
Rund 70 Werke von 16 deutschen Fotokünstlern aus den 1990er Jahren bis heute hat die Ausstellung zusammengetragen, zumeist Innenräume von so lähmender Geschlossenheit oder in einem so fundamentalen Zustand der Zerstörung, dass – paradox – kein Außen erreichbar scheint. Florian Slotawa: Dekonstruktionen von Hotelzimmern; Laurenz Berges und Beatrice Minda: vollständig verlassene oder durch Jahrzehnte zugewohnte Zimmer ohne Menschen; Thomas Florschuetz: der zerstörerisch aufgerissene und darum umso mehr wie ein Gefängnis wirkende Innenraum des Palasts der Republik; Günther Förg: die wie das Innere einer Taucherglocke lastenden Zimmer der Villa Malaparte, durch deren Fenster die Meereswelt wie ein Aquarium wirkt. Und auf Andreas Gurskys Großfoto »Uni Bochum« frisst sich der Innenraum mit Dinosaurierpfeilern in das Bisschen umgebende Landschaft.
Beim ihm seien »alle Intimitäten zugunsten der Erhellung des Details« gefallen, schrieb Walter Benjamin über die menschenleeren Paris-Fotos Eugène Atgets. Das Urteil gilt auch hier. Und ebenso, dass das Ergebnis politisch zu deuten ist: Die von uns selbst geschaffenen Räume kerkern uns ein. //
Bis 18. Januar 2009, Katalog 23 €. Tel.: 0203/301948-11. www.museum-kueppersmuehle.de.