Interview: Nicole Strecker
»Smart art with heart« sei ihre Kunst, so befand die Kritik über die Produktionen der brasilianischen Star-Choreografin Deborah Colker. 1994 gründete die heute 46-Jährige ihre Companhia de Danca de Rio de Janeiro. Mit ihrem größten Triumph, der Produktion »Rota«, gastiert das Ensemble im Juli in der Kölner Philharmonie.
K.WEST: Frau Colker, Sie wären beinahe professionelle Konzertpianistin geworden, Sie haben Profi-Volleyball gespielt, Psychologie studiert, eine der bedeutendsten Tanzkompanien Brasiliens gegründet. So viele Talente – wieso kommen Sie immer an die Spitze, aus Ehrgeiz?
COLKER: Ich bin ehrgeizig, ja. Immer, wenn ich etwas mache, tue ich das mit viel Leidenschaft, oft wird es zur Obsession. Beim Tanz freut mich der Erfolg besonders, denn die meisten Choreografen sind von ihrem 5. oder 7. Lebensjahr an in der Tanzwelt. Ich habe erst mit 17 angefangen zu tanzen. Aber der Tanz hat mein Leben gebündelt: Die Musik, die so viele Jahre lang wichtig war für mein Leben. Mein Studium und die Energie des Sports. Volleyball ist ein besonderes Spiel, bei dem man nur gemeinsam gewinnen kann, es ist strategisch, es hat Stil – wie der Tanz.
K.WEST: Ihre Begeisterung für den Sport hat Ihnen im letzten Jahr ja auch eine Auftragsarbeit für die Fußball-Weltmeisterschaft gebracht: »Maracana«, ein Fußball-Ballett. Sie choreografieren für Sportveranstaltungen, für Videoclips, für den Karneval in Rio, auch in ihren Stücken ist die Grenze zum Entertainment schmal…
COLKER: Damit habe ich gar keine Probleme! »Rota« – das ist zum Beispiel ein sehr unterhaltsames Stück! Glücklich, lustvoll, lebensfroh, aus der Perspektive von jungen Menschen, mit frischen Gedanken, einfach und extrovertiert. 1979, als ich »Rota« kreierte, war genau diese Diskussion in der Luft, die Frage: »Ist das noch Kunst oder ist es Show?« Das floss in meine Konzeptionen für das Stück ein.
K.WEST: Wie beantworten Sie die Frage?
COLKER: In »Rota« spiele ich mit den sogenannten ernsten Künsten und Themen – das soll all die Menschen provozieren, die mir solche Fragen stellen. Ich spiele mit der klassischen Musik, mit dem klassischen Ballett, mit physikalischen Konzepten, wie etwa der Schwerkraft.
K.WEST: Eine ironische Hinterfragung von Kunst?
COLKER: Nicht ironisch, sondern humorvoll. So viele Künstler brauchen es, über den Schmerz zu sprechen, über die schreckliche Welt, sie hoffen: Mit diesem Stück verändere ich die Welt! Denen möchte ich sagen: Stopp mal und lach ein bisschen drüber – was für ein Anspruch! »Rota« entstand, weil ich die Idee hatte, den zeitgenössischen Tanz mit einem Erlebnispark zu kombinieren.
K.WEST: Deshalb das Riesenrad auf der Bühne. Jetzt ist »Rota« schon zehn Jahre alt, mehr als 200.000 Zuschauer haben es in aller Welt gesehen. Ist es noch aktuell?
COLKER: Ja, natürlich, denn die Tänzer haben sich verändert – ich ändere mich ständig. Wichtig ist doch: Bin ich originell und aufmerksam gegenüber dem Leben? Kunst muss über unseren Alltag sprechen. Dieses T-Shirt hier ist wichtig, weil ich es heute Morgen angezogen habe. Das Zähneputzen – all die alltäglichen Bewegungen inspirieren mich.
K.WEST: Die meisten Bewegungen Ihrer Tänzer auf der Bühne sind aber nicht zur Nachahmung empfohlen, sie sind unglaublich virtuos. Suchen Sie immer noch die Grenzen dessen, was der menschliche Körper kann?
COLKER: Ja, ich liebe es, über die Grenzen hinaus zu gehen! Es ist hart, mit mir zu arbeiten, weil ich ständig andere Sachen von den Tänzern verlange: Bei mir müssen sie in Vasen, mit Seilen und auf einem Riesenrad tanzen.
K.WEST: Sie selbst tanzen auch noch mit, fordern viel von sich. Was treibt Sie so sehr an, die Angst vor Stillstand?
COLKER: Meine Mutter hat immer gesagt: »Das Kind braucht Herausforderungen, sonst überlebt es nicht«. Manchmal hassen mich meine Tänzer, weil ich nie müde bin. Das stimmt zwar nicht, aber ich ziehe viel Kraft aus der Arbeit.
K.WEST: Ihr Temperament, Ihre Lebenslust – wer Sie so beschreibt, entspricht dem Klischee »typisch brasilianisch«. Stört Sie das?
COLKER: Ja, ich bin überhaupt nicht typisch brasilianisch, das einzig Typische ist: Ich bin ein völliger Mix. Ich bin Jüdin, meine Großeltern kommen aus Bessarabien und Russland. Ein Kultur-Mischmasch, vielleicht ändere ich deshalb ständig meine Meinung. Aber wenn Leute sich darüber ärgern sage ich immer: »Hey, das ist das Leben, immer anders, immer neu.« //
Vom 20. – 29. Juli 2007 in der Kölner Philharmonie; www.koelnersommerfestival.de