TEXT: GUIDO FISCHER
Wenn Evelyn Glennie auf der kleinen Trommel loslegt, verschlägt es selbst Oscar die Sprache. Der nörgelnde Langzeitbewohner einer Mülltonne ist schwer beeindruckt, wie man mit zwei Stöckchen derart herumwirbeln kann. Noch rätselhafter ist ihm, dass die Besucherin der Sesamstraße sich dabei eigentlich nicht hören kann. Doch Glennie verrät ihrem pelzigen Fan ein Geheimnis. Sie zieht einfach die Schuhe aus und kann barfuß die Vibrationen der noch so komplexen Rhythmen fühlen und verarbeiten. Wow!
2001 gab die schottische Percussionistin ein Gastspiel in der legendären Kindersendung und sorgte für Begeisterung und Erstaunen. Solche Reaktionen kennt Glennie seit mehr als zwei Jahrzehnten. Wo immer sie auftritt, stellt man sich in den ersten Minuten reflexartig die Frage: Wie findet sich die seit ihrem zwölften Lebensjahr nahezu taube Musikerin im Rhythmus-Gewimmel zurecht? Glennie hat ihren Körper zu einem hochsensiblen Resonanzkörper ausgebildet, so dass es funktioniert. Jeden Ton mit seinen eigenen Schwingungen spürt sie von der Fußsohle hinauf bis in die Arme. So kann sie an ihrem Percussions-Arsenal artistische Kunststücke hinlegen, die selbst Schlagzeugern mit intaktem Gehör nicht gelingen würden.
Dank ihrer Fähigkeit, das Wesen des Klangs zu ertasten und abzuspeichern, spielt Glennie in einer besonderen Liga. Ohnehin zählt die Musikerin in ihrem Fach zu den weltweit überragenden Spitzenkräften. Drei Grammys, 15 Ehrendoktortitel sowie die Erhebung in den britischen Adelsstand sind eindrucksvolle Bestätigung ihrer Schlagzeugkunst. Zu ihren Partnern gehörten Giganten wie Georg Solti, aber auch die isländische Pop-Sirene Björk, Sting und der Avantgarde-Jazzgitarrist Fred Frith.
Dass Evelyn Glennie gewissermaßen zur Mutter der professionellen Solo-Schlagzeuger und damit zu allen Martin Grubingers wurde, verdankt sie ihrem Lehrer Ron Forbes. Nachdem sie in der Schule bei einem Hörtest durchgefallen war und man ihr daraufhin Schlagzeugunterricht verweigerte, baute sie Forbes mit einer besonderen Methode auf. Er ließ seine barfüßige Schülerin die einzelnen Trommelschläge fühlen. Wieder und immer wieder, mit jeweils neuen Percussions-Instrumenten aus Holz und Metall. Irgendwann hatte sie die enorme Klangpalette verinnerlicht, so dass sie sich 1982 mit 17 Jahren um einen Studienplatz an der Londoner Royal Academy of Music bewarb. Drei Mal musste sie die Aufnahmeprüfung wiederholen, da die Jury ihr einfach nicht ihre Schwerhörigkeit abnehmen wollte. 1985 machte sie ihren Abschluss mit Auszeichnung. 1989 bekam sie den ersten Grammy für ihre Einspielung von Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Percussion.
Mittlerweile hat sie 30 weitere CDs aufgenommen. Wenn Glennie nicht Repertoireklassiker wie etwa von Steve Reich spielt, hebt sie für sie komponierte Werke aus der Taufe. Die addieren sich zu 160 Kompositionen, darunter das hypervirtuose »UFO«-Konzert des Amerikaners Michael Daugherty. Für das Kölner Musikfestival »Acht Brücken« hat er das Schlagzeugkonzert »Dreammachine« geschrieben. Kaum hat Glennie ihre Schuhe ausgezogen, verwandelt sie sich in eine spektakulär funktionierende Rhythmusmaschine.
Evelyn Glennie, WDR Rundfunkorchester, Frank Strobel; 11. Mai 2014, Funkhaus Wallrafplatz, Köln; www.achtbruecken.de