TEXT: ANDREAS WILINK
Ihr zuzuschauen, ist beinahe schon der ganze Film. Und genug für 116 Minuten. Michelle Williams, die am Herd steht und Muffins-Teig in Kuchenformen rührt, um dann verträumt ihr Gesicht an die Backofentür zu schmiegen, obwohl es heiß ist draußen und drinnen der Ventilator rotiert; die in einem rot-weiß karierten kurzen Kleid und überhaupt meistens wie das Märchen-Rotkäppchen unterwegs ist im unwiderstehlichen Sommer von Toronto; deren Füße mit den blau lackierten Zehen wir über den Boden tänzeln sehen; über deren Gesicht die Sonne zieht; die als Margot mit ihrem Ehemann Lou im Bett herum albert und mit ihrem Geliebten Daniel nachts im Schwimmbad, beide geschmeidig wie Delphine, ins Wasser taucht; die einmal mit Daniel und einmal allein in einem Autoskooter-Karussell fährt, während »Video killed the Radio Star« von The Buggles dröhnt. Den Titelsong aber stiftet Leonard Cohen mit seinem sanften »Take this Waltz«.
In Louisbourg auf der kanadischen Kap-Breton-Insel, wo ein Leuchtturm romantisch am Meer wacht, hatte die 28 Jahre alte Margot per Zufall Daniel getroffen und ihn dann im Flugzeug wiedergesehen; auf dem Weg nach Hause stellen sie fest, dass er ihr Nachbar ist auf der Straße gegenüber. Sie habe, hatte sie zu ihm gesagt, weil er sich wunderte, dass sie im Rollstuhl in die Maschine geschoben worden war, Flughafen-Angst. Angst sich zu verlaufen und den Anschluss zu verpassen, Angst irgendwie dazwischen hängen zu bleiben. Deshalb der Trick, sich als gehbehindert auszugeben, um Hilfe zu erhalten.
Sarah Polleys gefühlvolle, aber nüchterne und unsentimentale Dreiecks-Geschichte, die ohne »Szenen« auskommt und ohne laute Krisen und Kräche, aber immer von der Furcht erzählt, dazwischen hängen zu bleiben – zwischen Lou (Seth Rogen) und Daniel (Luke Kirby), konzentriert sich ganz auf Margots inneren Aufruhr, den Williams’ weiches Kindergesicht spiegelt. Diese Schauspielerin offeriert uns ihr secret heart wie ein liebevoll bunt verpacktes Geschenk. Nur sie kann so traurig schauen wie zuvor Marilyn Monroe, die Williams in »My week with…« gespielt hat.
Die schönste Liebeserklärung macht ihr Lou, bevor Margot ihn verlässt, um bei Daniel zu bleiben. Er verrät ihr, dass er es war, der ihr beim Duschen heimlich immer einen Schwall kalten Wassers in die Kabine geschüttet habe, während sie meinte, es sei verursacht durch einen Leitungsschaden. Wenn sie gemeinsam 80 geworden wären, hätte er es ihr eigentlich erst verraten wollen, um darüber zu lachen.
Der schönste erotische Moment zwischen Margot und Daniel findet an einem Tisch in einer Bar statt, wo sie ihre Martinis unberührt lassen, als er ihr mit leisen Worten genau beschreibt, was er mit ihr und ihrem Körper tun möchte. Das ist viel aufregender als die späteren, raffiniert montierten Sex-szenen in ihrem neuen Loft, das sich während der praktizierten Stellungen und Paarungen allmählich von einer Baustelle zum gemütlichen Heim verwandelt und so Kalenderzeiten überspringt. Solche wohlüberlegten Situationen und deren filmische Auflösung sowie die Einbindung einiger das Zentrum begleitender Figuren wie Margots alkoholkranker Schwägerin machen »Take this Waltz« selbst zu einer Kostbarkeit. Dass es für Margot und Daniel glücklich endet, uns aber trotzdem schwermütig zurücklässt, gehört zu den Qualitäten dieses Films, der nach »Blue Valentine« Michelle Williams zur Expertin in der Kunst der Liebe macht.
»Take this Waltz«; Regie und Buch: Sarah Polley; Darsteller: Michelle Williams, Luke Kirby, Seth Rogen; Kanada/Spanien/Japan 2011; 116 Min.; Start: 7. März 2013.