TEXT: MELANIE SUCHY
Sie rufen auf Arabisch, Übertitel übersetzen: »Was passiert mit uns? Was machen wir jetzt?« Das fragten sich die jungen Leute täglich inmitten der Revolte in Kairo. Jetzt machen sie Theater: »Lessons in Revolting« heißt die Performance von Laila Soliman, Jahrgang 1981, die sie zusammen mit dem belgischen Regisseur und Schauspieler Ruud Gielens und ägyptischen Künstlerfreunden, die die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz miterlebt haben, konzipiert hat. Lektionen sind das nicht, eher schon ist es eine Rekollektion von Augenblicken, Tagen, Wochen des Aufstands, der bis heute anhält. Szenen mit Video, Musik, Texten und viel Bewegung, die sich nicht analytisch über das Geschehen erheben, sondern versuchen, das Mittendrin erfahrbar zu machen. Im Halb-Rohen spürt man auch die Verletzlichkeit der Akteure, die sich als Aktivisten bezeichnen und zu erkennen geben; auch die Brüchigkeit der politischen und gesellschaftlichen Situation in Ägypten und die der Kunst, die sich daran abarbeitet.
»Wir beschlossen, daraus ein Stück zu machen mit Künstlern aus unterschiedlichen Sparten«, erzählt Laila Soliman. »Wir sind uns auf dem Tahrir sowieso dauernd über den Weg gelaufen, häufiger als sonst«, ergänzt Karima Mansour, die Choreografin und Tänzerin im Team. Dazu kamen die Filmemacherin Aida El Kashef, die Sängerin Maryam, die Polit-Bloggerin Salma Said, der Performer Aly Khamees, die Musiker Maurice Louca und Mustafa Said. Die Kollegen Aly Sobhy und Omar Mostafa werden wohl nicht nach Düsseldorf reisen können, weil sie keine Pässe bekommen. Denn sie haben den Militärdienst verweigert.
Gern wird die Schnelligkeit der performativen Künste beschworen, Ereignisse aufnehmen zu können, ohne langes technisches Procedere. So können die »Lessons in Revolting« mit ihrer Unmittelbarkeit argumentieren, mit den Persönlichkeiten, auch mit Überwältigung. Die Beteiligten sammelten aus der Erinnerung an jene ersten achtzehn Tage der Tahrir-Besetzung Gefühle, Gedanken und Bewegungen. Daraus komponierten sie einen Teil des Stücks. Salma Said berichtet auf der Bühne, wie sie einen Uniformierten fragte: »Warum greift Ihr uns an?«; wie sie Schüsse hörte, »Wir konnten es nicht glauben«, Panik. Auch Fremdtexte werden eingefügt, Facebook entnommen, in denen beispielsweise gegen die Verharmlosung des Militärs gewettert wird, dessen angeblichem Nichteingreifen man doch nun nicht die Revolution zu verdanken habe! Dazu Gedichte aus früheren Revolutionen, Reminiszenzen an 1919 und an die Zeit zwischen 1968 und 1972, als Studentenaufstände schon einmal den Tahrir-Platz okkupierten. Drei Tage lang. »Aber wir haben achtzehn Tage geschafft und noch einmal zweiundzwanzig!« Laila Soliman klingt ein wenig stolz.
Die Performer machen im Zuschauersaal Lärm mit Hämmern und Metall. Wie die Demonstrationen gegen Milošević damals in den 90ern mit ihren Trillerpfeifen und Pfannen. Sie nehmen die Stillsitzer, diejenigen, die nur zuschauen, in Haftung. Eindruck von Masse, Eile, Dringlichkeit und Verstörung vermitteln auch die Videos: Freunde, Palaver, die vollen Straßen, nervöses Laufen und Spähen, Rufe, Müllsammeln, Panzer, Blut.
Widerstand braucht Körper. So suchen die »Lessons« vor allem deren Ausdruck. »Die Körpersprache dieser Revolution« zu sammeln, war die ursprüngliche Idee, sagt Ruud Gielens. Sie wollen nicht belehren, weshalb sie Texte in diesem Zusammenhang als schwierig empfinden. Karima Mansour verdichtete und verfremdete die Bewegungen zur Choreografie. Die Performer rennen, ducken, krümmen sich an die Wand oder aneinander, ballen die Fäuste, zeigen mit den Fingern aufeinander, halten sich die Ohren zu, heben die Arme halb, als wollten sie sich ergeben. Untersuchungsmäßiges Abtasten, Haare ziehen, Hände klatschen auf Haut. Einer trägt behutsam seine Kollegin auf allen Vieren davon. Verunglimpft das affenartige Ellbogenheben das aufständische Volk? Oder zeigt es einen Urkampf, wie die berühmte Anfangsszene von Stanley Kubricks »2001 – Odyssee im Weltraum«?
Die Leichtigkeit sei ihnen vergangen, sagen die Performerinnen. Auch nach dem Sturz Mubaraks wurden Demonstranten geschlagen und verhaftet. Am Ende der »Lessons« tanzt das Ensemble eine Art Maori-Haka. Mit lauten Füßen und jenen Armgesten, die auch schon vorher in der Luft waren. Ewige Wiederholungen. Erschöpfung wird sichtbar, Atem, Schweiß, der Wille zum Weitermachen. Blicke zum Nachbarn und wieder vorwärts.
»Lessons in Revolting« am 7. & 8. Oktober im Düsseldorfer Forum Freies Theater. www.forum-freies-theater.de