INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Vom 29. März bis 3. April findet in Köln »Heimspiel« statt: auf den ersten Blick ein Festival der freien Theaterszene. Was stimmt und wieder nicht stimmt, wie Hortensia Völckers, die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, im Interview erläutert. Ihre Institution hat 2006 »Heimspiel« ins Leben gerufen, um eine bestimmte Entwicklung im Theater zu befördern, nämlich die gezielte Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren Bewohnern – in Projekten zu realen historischen und sozialen Phänomenen der Region, mit Profis und mit Menschen von der Straße.
K.WEST: Theaterfestivals gibt es einige, vor allem auch solche, die die Freie Szene einladen. Was ist das Besondere an dem Projekt »Heimspiel«?
VÖLCKERS: Der »Heimspiel«-Fonds richtet sich explizit an die Stadttheater, also Häuser mit festem Ensemble und Repertoirebetrieb. Wir wollten mit dem »Heimspiel« einen Bereich der Theaterarbeit fördern, der sich ganz gezielt mit Themen aus dem städtischen Umfeld beschäftigt und für den eigene Textformen gesucht und neue Publikumsgruppen gefunden werden mussten, also einen Bereich, der im normalen Theateralltag meist zu kurz kommt. Für die Zukunft unserer Theater finden wir es wichtig, dass sich ein Stadttheater nicht nur um sein klassisches Repertoire kümmert oder um mediale Anerkennung für seine Uraufführungen, sondern sich auch mit gesellschaftspolitischen Themen befasst, die die Bürger in ihrem Alltag aktuell bewegen, seien es Fragen der Integration von Migranten, des Schrumpfens von Städten oder der Überalterung der Gesellschaft.
K.WEST: Für »Heimspiel 2011« wird ein Aktionsfeld beschrieben, das durch die Koordinaten Intervention, Prozessorientiertheit, Aktionismus und Archive gebildet wird. Wie muss man sich ein solches Feld vorstellen?
VÖLCKERS: Bei den »Heimspiel«-Projekten kann man ja nicht auf eine fertige Textvorlage zurück-greifen. Man muss von Anfang an alles selbst erfinden, selbst erarbeiten. Man muss Material sammeln, recherchieren, Betroffene oder Zeitzeugen ansprechen, mit Aktionen Interesse wecken und zum Mitmachen motivieren, man muss Gespräche dokumentieren, archivieren, passende künstlerische Formate erfinden – und dann daraus ein Stück machen, das auch auf der Bühne funktioniert. Das ist ein sehr aufwendiger Prozess. Das Besondere am »Festival Heimspiel 2011« ist, dass man das alles gewissermaßen zeitgleich sehen kann, die fertigen Produktionen und in den Workshops die verschiedenen Phasen und Formen, die solche Projekte durchlaufen. Nach 300 Heimspiel-Aufführungen vor über 100.000 Besuchern in bundesweit 38 Stadttheatern können wir sagen, dass das Feld, in dem sich Heimspiel-Projekte bewegen, weit ist, aber durchaus beackerbar. Toll ist, wie weit das Themenspektrum der Heimspiel-Projekte ist und wie unterschiedlich die künstlerischen Herangehensweisen im Einzelnen sind. »Trollmanns Kampf« aus Hannover funktioniert ganz anders als das Dokumentarprojekt »Der Dritte Weg« aus Jena; trotzdem sind beide Produktionen ganz nah an der historischen und sozialen Wirklichkeit und das bei hoher ästhetischer Qualität.
K.WEST: Welches sind die wichtigsten Gruppen und Projekte, die eingeladen wurden, und warum wurden gerade diese ausgewählt?
VÖLCKERS: Die sind alle gleich wichtig. Wir haben bewusst internationale Gastspiele berücksichtigt, weil wir zeigen wollen, dass auch anderswo – in Cork, Manchester oder Buenos Aires – Arbeitsformen wie im »Heimspiel« erfolgreich sind. Das ist nichts, was nur in Deutschland und nur an Stadttheatern funktioniert. Aber vielleicht haben wir hier angesichts unserer reichen Stadttheaterlandschaft eine besondere Verpflichtung, uns kommunalen Themen zu öffnen und theaterferne Gruppen ins Publikum einzubinden. Das Festival »Heimspiel« dient ganz wesentlich dem Erfahrungsaus-tausch, national wie international, und deshalb sind auch die Symposien, Workshops und Archive ein ganz wichtiger Bestandteil des Festivals.
K.WEST: Gefühlt zwei Drittel des ganzen Programms sind Vorträge. Richtet sich »Heimspiel« am Ende eher an Theaterwissenschaftler?
VÖLCKERS: Ganz und gar nicht. Das Festival ist vor allem etwas für Leute aus der Theaterpraxis, ganz besonders für Dramaturgen, Regisseure oder Schauspieler, aber auch für ein theaterbegeistertes Publikum, und sicherlich gibt es auch Theaterwissenschaftler, die sich dafür interessieren. Das »Heimspiel 2011«-Festival unterscheidet sich allerdings ziemlich von anderen Festivals, wie z.B. das jährliche Theatertreffen in Berlin, das die Kulturstiftung des Bundes ja auch finanziert. Da zeigen wir die Highlights einer Theatersaison. Im Gegenzug geht es bei »Heimspiel 2011« weniger um eine Präsentation von Best-Of-Stücken, sondern um Vorbildliches in einem umfassenden Sinn: Es geht darum, die Fähigkeiten des Theaters zu zeigen, sich aus sich selbst heraus zu erneuern, seine Themenkreise zu erweitern, das Repertoire künstlerischer Ausdrucksformen zu vergrößern und neues Publikum anzusprechen. Das scheint uns für die Zukunftsfähigkeit von Stadttheatern enorm wichtig.
K.WEST: Der Fonds Heimspiel schließt hiermit. Was ist die Bilanz?
VÖLCKERS: Ja, im Moment ist die Planung so, obwohl wir immer noch jede Menge Anträge bekommen. In der Öffentlichkeit, besonders auch in den Fachmagazinen wie Theater heute, hat das »Heimspiel«-Programm eine durchweg positive Resonanz gehabt, aber natürlich ist nicht jede einzelne Produktion auf ungeteilten Beifall gestoßen. Das ist normal. Unsere Bilanz geht in eine andere Richtung: Offensichtlich ist es uns gelungen, das richtige Angebot zum richtigen Zeitpunkt zu machen. Unsere Einladung an die Stadttheater, sich stärker um Themen zu kümmern, die gewissermaßen vor der eigenen Haustür lagen und neue Formen dafür zu entwickeln, ist bundesweit angenommen worden. Da ist uns etwas gelungen, von dem die Theaterszene langfristig profitieren wird. Produktionen à la »Heimspiel« werden nicht verschwinden, wenn wir den Fonds schließen. Da bin ich mir sicher, und das ist auch der schönste Erfolg!
Heimspiel mit sechs Gastspielen, vier »Archiven«, drei Symposien mit 18 Themen, sechs Workshops und einem Club in Schauspielhaus Köln, Schlosserei, Halle Kalk, Kölnischem Kunstverein und Antoniterkirche.
Tel.: 0221/221-28400. www.heimspiel2011.de