Im Kapitel IV der Ausstellung packt einen das schiere Entsetzen: Wir erblicken die uralte Greta Garbo, 1990 in New York in einem Wagen von einem ihrer Verfolger mit Kamera erwischt und entblößt – eine Greisin mit langem grauen Haar hinter einer großen Brille, in den Augen fassungslose Panik. Und mit einer Miene, die man vor Gericht stellen müsste, um denjenigen zu verklagen, der ihr das Abbild entrissen und es auf dem öffentlichen Markt feilgeboten hat. Vulgarität und Brutalität des Mediums Fotografie sind hier erfasst, nicht seine Zärtlichkeit und Wahrhaftigkeit. Es ist der Blick der Medusa, den die Kamera aussendet und mit ihm ihr Opfer erstarren lässt.
Ein Skandal. Nicht deshalb, weil Garbo nicht mehr dem Jahrhundertgesicht des Kinos entspricht – dem reinen Ebenmaß der Maske, der Edward Steichen, Clarence Sinclair Bull, Cecil Beaton und andere Künstler fotografisch gehuldigt haben, indem sie das Oval aus Licht und Schatten formten, sondern weil der Wunsch und Wille der Schauspielerin gebrochen wurde. Sie hatte für sich entschieden, was auch ihre große Rivalin und Kollegin Marlene Dietrich, die von sich sagte »I have been photographed to death«, zu einem bestimmten, nur dem eigenen Zeitplan verpflichteten Augenblick beschloss: unsichtbar zu werden. Und die Welt mit einer Vorstellung von sich zurück zu lassen.
Ein weiteres Foto raubt Greta Garbo 1976 beim Baden aus – ein Schnappschuss, der ausschaut, als treibe ein körperloser Kopf mit Badekappe auf den Wellen. Nichts erinnert dabei an Joseph Brodskys wunderbaren Satz: »Venedig im Winter gleicht Greta Garbo, wenn sie schwimmt.« Auch dies Demütigung und Demontage, Profanisierung des und der Göttlichen, Entmythisierung – niemandem zu Nutzen. Nur einer banal hässlichen Moderne, die nicht mehr an die Schönheit glauben mag.
Zehn »Personen« (zu verstehen auch im Sinne der griechischen persona) der Zeitgeschichte versammelt die Zusammenschau »The World’s Most Photographed«, die das Museum Ludwig von der National Portrait Gallery, London, übernommen und um eigene Bestände aus der exquisiten Sammlung L. Fritz Gruber ergänzt hat. Sie dokumentiert Magie, Möglichkeiten, Methoden und Manipulationen des Porträts – chronologisch noch im 19. Jahrhundert beginnend mit Queen Victoria, die selbst im familiären Kreis oder in matronenhafter Aufmachung ihre imperiale Geste und Ruhe bewahrt. Bei ihr scheinen Rolle und Persönlichkeit ganz in eins zu fallen. Ebenso bei Mahatma Gandhi, dessen weiße Lichtgestalt, dessen asketischer Körper und Geist gleichermaßen Schlichtheit ausstrahlen wie von historischer Bedeutung aufgeladen scheinen, als sei ihr ikonografischer Aspekt zumindest von den Fotografen, wenn nicht vom Fotografierten selbst mitgedacht worden.
Was dann bei Adolf Hitler in die perverse Verformung führt. Alles wird zu Pose und Propaganda, Strategie und Überwältigungsrhetorik: der Herrenmensch mit Schäferhund, der Volksgenosse in Lederhosen, der Bürger im Frack, der besonnene Denker, der dämonische Demagoge, wie ihn Heinrich Hoffmann bannte, der pompöse Tribun neurömischen Kults, der Feldherr und zuletzt der große Einsame im Hochgebirge von Berchtesgaden.
Dass sich nicht allein die Diktatur, sondern die Demokratie (hierin schon Mediendemokratie) nicht minder auf Idolisierung versteht, zeigt die Galerie mit John F. Kennedy. Die Masse bejubelt ihn bei rauschhaften Aufzügen, so dass die Parade in Manhattan einem pharaonischen Triumphzug gleicht. Der Clan nobilitiert sich quasi in dynastischer Genealogie zur Ostküsten-Elite. Der Präsident spielt das Drama eines von der Last des Amtes Gebeugten im Oval Office, wie wenn John Ford, Frank Capra oder Oliver Stone ihm Anweisungen gegeben hätten.
Pikanterweise begegnen in der Ausstellung wie im wirklichen Leben JFK und Miss Monroe einander. Auf das Mädchen Norma Jean folgt das nackte Pin-Up-Girl auf rotem Samt folgt Sam Shaws zarte Schwarzweiß-Serie einer sensiblen Künstlerin folgt die ernsthafte Elevin am Actor’s Studio folgt Bert Sterns »Last Sitting«, dessen Ergebnisse sie selbst zensiert hat, folgt die Komödiantin bei Billy Wilder und die Ikone im gebauschten Rock über dem Lüftungsschacht: glückende und scheiternde Versuche, der Festlegung (als Sexstar) zu entgehen oder doch wenigstens die Regie über dieses Klischee zu behalten. Wie wir wissen, ein tragisch endender Versuch.
Da war Audrey Hepburn um vieles glücklicher, autonomer, mit sich identischer, auch wenn sie auf Cecil Beatons berühmtem Foto von 1954 eine Hand erhebt, als wolle sie sich das Fotografiert-Werden verbitten. Es ist, als habe sie sich Kleider und Verkleidungen, die Givenchy-Modenschauen, die Roben der »My Fair Lady«, das Kleine Schwarze der Holly Golightly, die Rehäugigkeit und Fohlenhaftigkeit von »Sabrina« und »A Roman Holiday« mit größter Selbstverständlichkeit angeeignet und ohne Ich-Verlust überstanden. Ihr letztes Bild als Unicef-Botschafterin 1992 in Somalia mit einem elend abgemagerten kleinen Jungen neben sich lässt es ahnen. »Das Gesicht der Garbo ist Idee, das der Hepburn ist Ereignis«, schreibt Roland Barthes in seinen »Mythen des Alltags«.
Wie sehr Ideal und Realität sich reiben, offenbart James Dean, den – obwohl vielleicht gar nicht mal so sehr begabt – drei Filme unvergessen sein lassen, nachdem er 1955 bei einem Autounfall in seinem »Little Bastard« zu Tode kam. Grüblerisch verschlossen, mit hoch gezogenen Schultern und gesenktem Kopf und aus schmalen Augen in eine restaurative Welt schauend, ist er der typische Rebell und Outcast. So haben ihn Ray und Kazan gefilmt, so hat ihn Dennis Stock fotografiert und zum Poster-Motiv stilisiert, während ein fast effeminiert wirkender, unsicherer Junge auf den Bildern von Roy Schatt eine ganz andere Anmutung hat.
Überraschenderweise wurde bei Elvis Presley das ausgespart, was der Garbo zugemutet wurde: die monströse Gegenwart seiner späten Jahre. Zur Ansicht gelangen nur der Rock’n’Roller, die Heulboje, der Pomadenjüngling, schmachtend, schmelzend, schmollend – und sein Goldlamé-Dress, 1991 von Albert Watson fotografiert. Der Anzug als zweite Haut ist ebenso aussagekräftig wie ein Stillleben mit Boxhandschuhen nebst anderen Utensilien des Kampfsports. Muhammad Ali schließt die Zehner-Reihe ab: immer in Siegerpose, ob als Cassius Clay gegen Cleveland Williams 1966 in Houston, von Andy Warhol gemalt oder beim Training unter Wasser. Nur Carl Fischers Bildnis arrangiert ihn anders: »The Passion of Muhammad Ali« bringt ihn, von Pfeilen durchbohrt, mit dem Heiligen Sebastian in Verbindung. Ein Märtyrer, wie vielleicht all die Celebrities, egal, ob sie durch Mord oder Selbstmord, durch Unfall oder am Kultischen, in der Gnade des Alters oder der Blüte der Jugend schieden. //
4. Februar bis 1. Mai 2006; Katalog; Tel: 0221 / 221 26165; www.museenkoeln.de/museum-ludwig