Im Johannes-Evangelium, Kapitel 13, fragt Petrus: »Herr, wo gehst du hin?«. Jesus antwortet: »Wo ich hingehe, kannst du mir diesmal nicht folgen.« Es ist der Gang nach Golgatha. Das Kreuz ist immer real, die Auferstehung aber metaphorisch.
Das sprichwörtliche »Quo vadis« der Bibel nimmt Jamila Zbanić als Titel ihres Films auf. Bosnien, 1995. Srebrenica vor dem Angriff. Die UN-Truppen stellen ein Ultimatum, beschwichtigen, geben Versprechungen. »Ich bin nur ein Klavierspieler« – mit anderen Worten: Ich habe nichts zu entscheiden, die Musik hat ein anderer komponiert – sagt einer der verantwortlichen internationalen Offiziere entschuldigend zu den Bürger-Abgeordneten der Stadt, darunter als einzige Frau die Dolmetscherin Aida (Jasna Durićić), die für das niederländische Blauhelm-Kommando arbeitet und vergebens versucht, ihren Mann und ihre Söhne und überhaupt die muslimische Bevölkerung vor dem bosnisch-serbischen Angriff und Massaker unter General Mladićzu retten.
Aida weiß nicht ein noch aus. Wie ein Blatt vor dem Wind treibt es sie durch diese Stunden, während alle Anderen – aus Angst, aus feigem Zögern, in Erwartung, endlich zu töten – still zu stehen scheinen.
So viel Himmels-Blau an diesem Höllen-Tag im Juli: das Blau der Bluse von Aida, das Blau der Busse, die die schicksalsergebenen Menschen mitnehmen werden auf ihrem letzten Weg, die Blauhelme der sogenannten Friedenstruppe.
25 Jahre danach kehrt Aida in ihre frühere, von einer anderen Familie bezogene Wohnung zurück. Ein Bagger gräbt Skelette aus, die Knochen werden in einer Halle zurecht gelegt, Angehörige versuchen sie an Hand von Utensilien zu identifizieren.
Auch ohne dass »Quo vadis, Aida?« es dezidiert ausspielt, nimmt der Film ein Muster und Motiv tragischen Geschehens seit Antigone und den Troerinnen auf: Frauen gegen männliche Dominanz. Die sichere UN-Basis bleibt den Menschen verschlossen, ihre Evakuierung eine Lüge. Die UN-Truppen greifen nicht ein. 8372 Tote. Der Name Srebrenica ist zum Mahnmal von Massenmord, Nationalismus, Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit geworden: das neue Troja. Die eindringliche, nervenerschütternde Koproduktion von acht Ländern, die Herzenspanik und Verzweiflung, Wut und Mut, Überforderung wie auch auf der Gegenseite planvolle Ausrottungsmethodik in den Blick nimmt, ist es nun auch.
»Quo vadis, Aida?«, Regie: Jamila Zbanić, BIH 2020, 104 Min., Filmstart: 5. August 2021