TEXT: SASCHA WESTPHAL
Anders als Goethes Mephisto will Voland, der Teufel, der in Michail Bulgakows Roman das Moskau der 1930er Jahre heimsucht, nicht einmal das Böse. Er schafft einfach das Gute, indem er die Gierigen und Verblendeten bestraft. Regisseur Kay Voges geht in seiner Adaption dieser allegorischen und satirischen Abrechnung mit dem stalinistischen Sowjet-Reich noch einen Schritt weiter. Die Bestrafung der Atheisten ist für den Teufel (Sebastian Kuschmann) nur eine Pflichtaufgabe, der er sich so schnell wie möglich entledigt. Im Handumdrehen hat der zynische Literaturkritiker Berlioz (Uwe Rohbeck) seinen Kopf und der Arbeiterdichter Besdomny (von Christoph Jöde fulminant verkörpert) den Verstand verloren. Nun kann sich Voland, Prophet des Glaubens in einer Welt, die allen Glauben verloren hat und stolz darauf ist, seinem wahren Ziel widmen und – mit den Worten des jungen Dramatikers Wolfram Lotz – vom »unmöglichen Theater« träumen, um nichts weniger als die Überwindung der Wirklichkeit zu fordern.
Voland spricht Voges und dessen musikalischem Leiter Paul Wallfisch aus der Seele. Auch sie träumen in Dortmund vom unmöglichen Theater. Dafür ist Bulgakows ausufernder Roman über den »Meister und Margarita« wie geschaffen. Erzählt er doch auf mehreren Ebenen von der Auflösung der Wirklichkeit und der Erlösung von ihrem Kreuz. Die Fülle der Geschichten und Stile, Ideen und Stimmungen erlauben es Voges und seinem kein Risiko scheuenden Ensemble, ein enormes Spannungsfeld abzustecken. Unterstützt vom Dortmunder Sprechchor, den Projektionen des Videokünstlers Daniel Hengst und den live von Wallfischs Band Botanica gespielten Songs schreiten sie den Kreis theatraler Möglichkeiten aus. Dabei scheint sich der Abend auf den Schwingungen der Musik und den Flügeln der Fantasie in immer himmlischere und höllischere Höhen zu erheben, bis die letzten Töne des herzzerreißenden Songs »Judgement« verhallt sind und Stille sich ausbreitet. Es ist vollbracht: die Wirklichkeit überwunden.