// Auf Treu’ und Ehr’, das meint er nicht ernst. An Erlösung glaubt er nicht. In der Hölle liegt das wahre Paradies; auf Erden und im Himmel herrscht eine verdruckst spießige Erotik. Hans Neuenfels schändet Richard Wagners »Tannhäuser«. Aber ganz leichthin, von oben herab, fast mit einem Achselzucken nimmt er die Trümmer der Grand Opéra, des Erzromantischen und der hehren Ideale auf die leichte Schulter. Demontage als Jux, die Karikatur einer grimmigen Abrechnung mit dem katholischen und dem deutschen Wesen.
Doch zunächst stiftet der Regisseur ein Memento und mahnt, für die Träume seiner Jugend Achtung zu tragen. Für ein Vorspiel auf der Leinwand lässt Neuenfels Maximen und Reflexionen projizieren, indem er das Schatzkästlein seiner Lebensweisheit öffnet. Weißt Du, wie das wird – oder war, ließe sich mit den »Ring«-Nornen raunen. Als man noch Winzling und Möglichkeitsmensch war, noch Visionen besaß, bis die wilden Jahre im tristen Ehestand zahm werden, bis Sublimierungstheorie zur gängigen Praxis wird – und der hochfliegende Ikarus abstürzt.
Während dieses Prologs durchleuchtet im Graben des Aalto Theaters Stefan Soltesz die Ouvertüre sublim und dezent, so wie der Intendant und GMD gleich seinem Orchester und dem Ensemble überhaupt at it’s best ist. Dass Essens Musiktheater die mit Abstand erste Adresse in Nordrhein-Westfalen bietet und an bundesweit führender Position rangiert, scheint die Landesregierung jetzt – auch auf Anraten einer Experten-Kommission – in der Absicht zu ermutigen, das Aalto zur Staatsoper zur promovieren.
Wenn sich der Vorhang hebt, liegt der Venusberg wie zum pompe funèbre in dunklen Falten, eine puderbleiche Liebesgöttin (die etwas eng geführte Elena Zhidkova) und ihr Priester Tannhäuser mitsamt assistierenden schwarz-weiß gefiederten Teufelsbuben und Engelsknaben feiern eine Schwarze Messe. Beim Satanskult ihrer »bösen Lust« wandelt sich der Leib Christi zur sexuellen Kommunion der Körper und die Sünde wider den Heiligen Geist zum stimulierenden Nervenkitzel. Aber ach, der Antichrist Tannhäuser (Scott MacAllister) ist keine Künstlernatur, nur ein Bourgeois im Bratenrock mit Embonpoint, der die Harfe zupft wie ein Buchhalter. Vor diesem Heinrich kann einem grauen.
Eine geschmacklose Gründerzeit und die banale Prosa der Verhältnisse einer Verdrängungs-Gesellschaft hat ihn bald wieder. In der Oberwelt wird zwar tief geschürft, aber nur nach Erz und Kohle. Die Schlote qualmen wie in Nibelheim oder bei Viscontis »verdammten« Ruhrbaronen. Wäre dieser »Tannhäuser« keine komisch-satirische Nummer, würden bei dem Rauch noch ganz andere, schlimmere Assoziationen aufsteigen. Der Förderturm von Zollverein und das Märchenschloss Neuschwanstein, Alpenpanorama und Zechenhalde, Ludwig von Bayern und Wagner von Bayreuth – matt, welk und verblichen – gehören zusammen und treten im Duett auf. Um sie her der Chor der neuen Reichsverweser. Der Minnedienst ist da nichts weiter als Jägerlatein, bei dem Bunnys und amputierte Rehlein abgeknallt werden und die Wilderer der miss-achteten Natur mit Hirschgeweih auf dem Haupt ihrerseits bereits Hörner aufgesetzt bekommen haben. In diesem albernen, aber auch gewalttä-tig aggressiven Menschenpark sind die From-men, die Jäger, die Pilger, die guten Bürger, die Eliten eine schwarz-rote Meute von Sado-Maso-Masken oder laubfroschgrüne, blond ondulierte Volksmasse, die den Schlagstock schnell bei der Hand hat.
Kitsch gegen Kunst, Wirtschaft gegen Kultur: Dieses einfache Gegenmodell produziert platte und plumpe Charaktere, so dass auch die Elisabeth der glanzvollen Danielle Halbwachs wie eine eitle Mamsell und Modistin aus einem Salonstück sich von ihren Kammerkätzchen umspringen und in ihrer Verzichtsgeste und Opferrolle gefallsüchtig spiegeln lässt, während eine fragile Jungfrau Maria und Mutter Gottes im rot umzäunten Schrebergarten wie ein Max-Ernst-Popanz stürzt. Neuenfels steht in legerer Sternheim-Pose über allem, blättert nonchalant mit seinem Ausstatter Reinhard von der Thannen einen farbintensiven Bilderbogen auf und entwickelt seine Psychokur aus dem Geist von Oskar Panizzas »Liebeskonzil«. Trotz plakativer Botschaft, ist das genau beobachtet und bis ins Feinste inszeniert – so beim Wett- und Preisgesang der Liebe auf der Wartburg und bei Tannhäusers Rom-Erzählung, die in der Krankenstation zwischen Psychiatrie-Patienten und Bresthaften in klinischem Weiß die Antithese zu jedem Heilsgeschehen bildet. Da kann Rettung nur ausbleiben – der blühende Pilgerstab von einem Roboter-Deus ex machina und ex kathedra wird ebenso wie das Versprechen auf Glückseligkeit gebrochen. // AWI