Der doppelte Daniel: Brühl verfilmt Kehlmann bzw. Kehlmann schreibt für Brühls Regiedebüt „Nebenan“ das Drehbuch, dessen Hauptfigur Daniel heißt.
Daniel Kehlmann macht in seinen Geschichten dem Ich Beine und treibt es weit voran und vor sich her, bis sein Schatten, sein Überich, der Gegenspieler in ihm oder außerhalb seiner selbst ihn überholt. „Ich und Kaminski“ ist nur eine dieser Geschichten, die diese Konstellation und den Konflikt im Titel austrägt.
In „Nebenan“ heißen die beiden Figuren Daniel und Bruno. Dass dieser Daniel, der Sahra Wagenknechts neues Buch über den linken Lifestyle perfekt bebildern würde und der entsprechend im Bezirk Prenzlauer Berg in einem ausgebauten hippen Luxus-Penthouse mit exklusivem Aufzug lebt, von Daniel Brühl gespielt und in seinem Regie-Debüt inszeniert wird, tut ihm nicht gut. Denn so bleibt er ohne Distanzmaß, immer einen Strich oder mehrere zu viel auf der Skala der Darsteller-Sünden: zu smart, zu locker, zu lachhaft, zu selbstgefällig, zu anbiedernd, zu irritiert, zu wütend usw.
Dass die Rolle mit einiger autobiografischer Übereineinstimmung ausstaffiert wurde, etwa Daniels deutsch-spanische Herkunft, macht es nicht besser. Ebenso wenig, dass Kehlmann für Brühl, der in „Ich und Kaminski“ bereits eine der beiden Hauptfiguren verkörpert hat, das Drehbuch nach einer Idee des Regisseur-Schauspielers geschrieben hat. Was freilich die Berlinale eher aufforderte, als abhielt, „Nebenan“ in den Wettbewerb einzuladen. Nach dem Motto: Eins, Zwei, Drei, ein Berlin-Film tut immer gut.
Bevor Hipster Daniel mit Rollkoffer zum Casting nach London reist, legt er in der alten Eckkneipe einen Stopp ein und trifft auf Bruno, den ehemaligen Ossi, der länger Wohnrecht in dem gentrifizierten Viertel, seinem Kiez, und in dem aufgemöbelten Haus geltend machen kann und großen Frust über das gewendete Leben in sich aufgehäuft hat und in Rache verwandelt: an der idealen Projektionsfigur, die er in bekannter Stasi-Methodik auskundschaftet und das Leben des Anderen äußerlich wie in dessen Innenbeschau ins Auge gefasst hat. Bruno hat alles am Schnürchen, nicht nur die Filmtitel von Daniels internationaler Karriere, auch Privates, und er weiß es, manipulativ zu benutzen. Daniel bekommt Panik. Das Fremde zeigt sich auch hier als das Eigene in anderer Gestalt.
Peter Kurth als Bruno schafft es mit seinem Pokerface, das zugleich halbtragisch in etwas Peter Lorre-haftes entgleiten kann, immer wieder, diesem spezifischen sozialen Charakter Format zu geben, ohne ihn an den Typus zu verscherbeln. Das ist in „Nebenan“ geradezu ein Kunststück, denn Kehlmann und Brühl tun alles, um das Klischee zu bedienen und eine DDR-Nostalgie ex negativo auszubuchstabieren.
„Nebenan“, Regie: Daniel Brühl, D 2021, 94 Min., Start: 15. Juli 2021