TEXT: KATJA BEHRENS
Die Institutionalisierung eines Überwachungs- und Disziplinierungssystems, das Michel Foucault 1975 in seiner Studie zur Geburt des Gefängnisses (»Überwachen und Strafen«) als ein Symptom unserer bürgerlichen Gesellschaft nachzeichnet, ist auch die Geschichte unserer Zähmung und Befriedung in den vertrauten – nützlichen, produktiven, lebenserhaltenden – Anstalten wie Schulen, Betrieben, Krankenhäusern, Kasernen. Die Herrschaftspraktiken, die die Subjekte unserer modernen Gesellschaft zu Gefangenen machen, so Foucault, seien freilich nicht nur in den Institutionen zu finden, sondern hätten sich längst in unserem Denken eingenistet. Die Hierarchisierung unserer Gesellschaft laufe darauf hinaus, die Menschen nach Rang und Status einzuteilen, Abstand zu definieren und damit eine Klassifikation vorzunehmen.
In der großen Ausstellungshalle des Folkwang Museums sind dunkle Kabinette eingerichtet, lange Tunnel lenken den Weg des Besuchers in die einzelnen Räume. Die Präsentation der Filme, das Format und die Projektion spielen eine wichtige Rolle für Aernout Mik, und so ziehen die Ausstellungsarchitekturen den Betrachter direkt hinein in den irritierenden, beängstigenden Kosmos einer Kunst, deren Nähe zum tatsächlichen Leben sich immer wieder selbst in Frage stellt. Die räumlichen Arrangements sind Teil der psychologischen Zuspitzung der Arbeiten, und da ist es nur folgerichtig, dass sich Mik nicht nur als Filmkünstler versteht.
Dennoch gilt Aernout Mik, 1962 in Groningen geboren, als eine zunehmend wichtige Position der zeitgenössischen Videokunst. Seit Mitte der 1990er Jahre ist er in vielen internationalen Ausstellungen präsent. Er ist ein gefragter Künstler und er ist – ganz anders als seine Arbeiten – offenbar sehr unkompliziert und klar. So jedenfalls beschreibt ihn die Essener Kuratorin Sabine Maria Schmidt.
Jetzt hat sie gemeinsam mit den beiden Kolleginnen vom Pariser Jeu de Paume, dem Amsterdamer Stedelijk Museum und dem Künstler selbst einen großen Parcours eingerichtet, der einen Überblick über sein Schaffen von 1998 bis heute gibt. Und hier werden wir Zeuge des vielgestaltigen Zerfalls und Auseinanderbrechens der Trost und Sicherheit spendenden Institutionen und der leeren Rituale unserer modernen Gesellschaft.
In dem Film »Touch, Rise and Fall« von 2008 etwa werden die neurotischen Überwachungsrituale der allgegenwärtigen Sicherheitsschleusen in den Flughäfen und anderen Transiträumen unserer modernen Welt zu einer endlosen Schleife gebunden. Ewiges Warten und müßiger Zeitvertrieb, das Aus- und wieder Einpacken, Umsortieren und Ausziehen werden in langsamen Detailansichten isoliert und verwandeln den Film in eine stumme Groteske. Menschen laufen von einem Bild ins andere, ohne neue Perspektiven zu eröffnen, Müll wird durchsucht und nach undurchschaubaren Kriterien sortiert, Schachteln werden neu aufgebaut und umorganisiert. Am Ende ist alles ebenso unscheinbar verwirrend wie am Anfang, das Gefühl von Hilflosigkeit und Bedrohung aber hat die Szenerie vergiftet.
Auch die anderen Filme des holländischen Künstlers bleiben eine Erklärung schuldig. Sie brechen mit nahezu allen Konventionen dramatischer Struktur und cineastischer Technik. Ohne Anfang und Ende, ohne klare Erzählspur gibt es in allen zehn im Folkwang Museum gezeigten Filmen zwar eine an- und abschwellende Dramatik, aber keine erkennbaren Ursachen und kein Ziel, keine Helden und keine Schurken. Nur immer wieder Uniformierte und die absurden Kontrollrituale des Durchleuchtens und Überwachens, der Ausgrenzung, des sinnfreien Agierens und empathielosen Reagierens. Die Situation schlägt um in grotesken Nonsens und wieder zurück in erschreckende Realität. Was im Einzelnen vor sich geht, bleibt weithin vage. Warum und wohin etwa die sich drängenden und schubsenden Menschengruppen auf den Treppen in »Organic Escalator »(2000) und »Schoolyard« (2008) unterwegs sind, muss dahingestellt bleiben. Ebenso, warum die Menschen in »3 laughing, 4 crying« (1998) lachen und weinen. Aernout Mik findet Bilder für das »Zusammensein warmer Körper im Raum«, für die absurden Rituale unserer modernen Gesellschaft, plausibel und erschreckend zugleich.
Längst haben wir uns an die Bilder von Silvio Berlusconi in irgendeinem Gerichtssaal gewöhnt, die Justizfarce um den italienischen Ministerpräsidenten dauert nun schon etliche Jahre. »Shifting Sitting« (2011), die jüngste Videoinstallation Aernout Miks, ist eine Meditation über diese Figur Berlusconi, über Macht, Medien, Manipulation, über Korruption, Charisma und Chauvinismus – und eine »Untersuchung über den Zustand der Demokratie in Europa«.
Die den Ausstellungstitel gebende Arbeit »Communitas« entstand im Sommer 2010 im Kultur- und Wissenschaftspalast in Warschau. Das Gebäude der kommunistischen Partei war ein »Geschenk« Stalins an Polen. Immer noch Symbol für eine problematische Vergangenheit, seien dort die utopischen Energien von einst spürbar, so der Künstler, sei die autoritäre Vergangenheit noch präsent. Diese Echos aus der kommunistischen Zeit, die theatralische politische Geschichte wird nun von den dort performenden Akteuren angeeignet: Sie klatschen, schwenken pastellfarbene Flaggen, verteilen Flugblätter und lachen.
Die beiden Videoinstallationen »Convergencies« (2007) und »Raw Footage« (2006), die als einzige mit einer Tonspur ausgestattet sind, benutzen rohes Dokumentarmaterial, das in den Medien keine Verwendung fand. Hier nun sind die Bilder nicht inszeniert, hier sehen wir junge Männer, die von Uniformierten abgeführt oder über ein Feld getrieben werden, wir sehen wartende Leute, die einfach herumstehen und gucken, über die Straße laufen, miteinander reden, neben einem alten Heizkörper in Deckung gehen. »Mich hat eben interessiert, was Normalität in einer Krisensituation bedeutet«, sagt Aernout Mik. Man sieht Gruppen von jungen Männern, die in Militärkleidung Fußball spielen, vorher haben sie stramm gestanden. »Verdichtungen von Menschen«, sagt der Künstler. »Man weiß nicht genau – sind es nun Täter oder Opfer?«
Viele der späteren Filme Aernout Miks bedienen sich der Ikonografie des Krieges, des Aufruhrs, des Schreckens und der Katastrophe, ohne dass sie ein konkretes historisches Ereignis abbilden. Sie finden ihre eindringlichen Bilder von Straßenschlachten, brennenden Autos, fliehenden Menschen zwischen aktuellem dokumentarischem Material und inszeniertem Spiel. Verlangsamt, leise, ohne Kontext werden die vertrauten Filmbilder von Zäunen, Absperrungen, Menschenjagd und Bootsflüchtlingen zu dringlichen und beunruhigenden Analysen unserer globalisierten Welt und ihrer Routinen. Allein die kurzen Phasen des Übergangs im ungerichteten Dazwischen, chaotisch und anarchisch, scheinen für die Menschen Momente der Zusammengehörigkeit und Gemeinschaftlichkeit zu schaffen. Das Fehlen jeglicher Struktur, Ordnung, Kontrolle und Hierarchie lässt so etwas wie Gleichheit aufscheinen. Das ist zentral auch in »Communitas«, weswegen dieser Film versöhnlicher wirkt als manche der früheren. Anarchie ist wenigstens einen Moment lang eine Option.
Aernout Mik: »Communitas«, Museum Folkwang, 29. Oktober 2011 bis 29. Januar 2012. Tel.: 0201/8845 000. www.museum-folkwang.de. Katalog 32 Euro