Eigentlich sollte Köln eine neue städtische Tanzkompanie bekommen und im Depot 1 in Mülheim gemeinsam mit der freien Szene arbeiten. Mit viel Aufwand wurde eine künstlerische Leitung gesucht – nun ist alles abgeblasen und die neue Sparte um drei Jahre verschoben. Der Grund? Die Sanierung von Oper und Schauspiel am Offenbachplatz verschlingt noch mehr Zeit und Geld.
Heike Lehmke verbirgt ihre Enttäuschung nicht. »Dass jetzt wieder alles auf Eis liegt, ist sehr frustrierend«, sagt die Geschäftsführerin des NRW Landesbüros Tanz im Gespräch mit kultur.west. Wie so viele andere Leute vom Fach hat Lehmke reichlich Zeit und Kraft investiert, um ein Konzept für den Tanzstandort Köln zu entwickeln. Der Plan: Eine neue städtische Kompanie und die freie Szene arbeiten unter einem Dach im rechtsrheinischen Depot 1 in Mülheim. Dass das gelingt, scheint inzwischen jedoch so gut wie ausgeschlossen.
18 Monate ist es her, da überrascht Köln mit einer Ankündigung: Fast 30 Jahre nach dem Rauswurf von Jochen Ulrichs legendärem Tanzforum will sich die Dom-Metropole wieder eine städtische Kompanie leisten. Und nicht nur das: »Die künstlerische Leitung wird auf der Ebene einer Intendanz gleichberechtigt mit Oper und Schauspiel arbeiten«, verkündet Kulturdezernent Stefan Charles lauthals. »Zur Spielzeit 2025/26 starten wir.«
Über 60 Bewerbungen
Mehr als 60 Bewerbungen für die Leitung der neuen Tanzsparte gehen ein. Eine Jury nimmt im Januar 2024 ihre Arbeit auf und siebt, bis noch zehn Kompanien übrigbleiben. Kulturpolitiker*innen und die Intendant*innen von Oper und Schauspiel erweitern die Jury, um einen möglichst breiten Konsens zu erreichen. Schließlich liegt der Fokus auf zwei Top-Teams. Und dann das Ende. Der aufwendige Findungsvorgang, der bis dahin nach Angaben der Stadt rund 100.000 Euro gekostet hat, wird abrupt abgebrochen.
Was ist passiert? Patrick Wasserbauer, Direktor der Städtischen Bühnen, schockt die Kulturszene mit einem neuen Wirtschaftsplan. Demnach muss die für 2025 anvisierte Etablierung der Tanzsparte um drei Jahre auf die Spielzeit 2028/29 verschoben werden. Der Grund: Die Sanierung von Oper und Schauspiel am Offenbachplatz verschlingt noch mehr Zeit und Geld. Schon wieder. Mitte 2026 könne der Betrieb dort wieder laufen. Frühestens.
Was das bedeutet, erläutern Wasserbauer und Charles im November dem Kulturausschuss. Vielsagender Titel der Präsentation: »Das Budget steuert die Inhalte.« Die Tanzsparte kommt in den mittelfristigen Planungen nicht mehr vor. Stattdessen sollen sich Schauspiel und freie Szene das Depot 1 teilen, während das kleinere Depot 2 an einen privaten Musical-Vermarkter vermietet werden soll. Ziel des Konzeptes: höhere Einnahmen, geringere Kosten.
Die Politik reagiert empört. Es handele sich um ein »Desaster«, so der Kommentar von Ralph Elster, kulturpolitischer Sprecher der CDU. »Etwas, was wir zehn Jahre lang vorbereitet haben, wird einfach weggewischt. Wir blamieren uns bis auf die Knochen.« Maria Helmes-Arend (SPD) verspürt ein »erhebliches Störgefühl« angesichts »wegweisender Entscheidungen, die einfach durch die Hintertür getroffen werden«.
Ist die eigene Tanzsparte ein großes Versprechen, das Köln nicht einlösen kann? Auf Nachfrage will sich die Stadt nicht festlegen. Es hänge von den »politischen und haushälterischen Konstellationen« ab, ob es in drei Jahren eine neue Tanzsparte geben werde, verlautet aus dem Rathaus. Klar ist hingegen, dass der Kölner Schuldenberg wächst und wächst. Die Kämmerei geht davon aus, dass das Defizit von drei Milliarden im Jahr 2022 auf fast elf Milliarden Euro im Jahr 2029 zunimmt. Schwer vorstellbar, dass da noch Geld für ein neues Tanzensemble im Etat stehen kann.
Kette der Inkompetenz
Kopfschütteln löst bundesweit aus, wie sehr sich die Verantwortlichen in Köln bei ihren Tanz-Visionen auf eine erfolgreiche Sanierung von Oper und Schauspiel verlassen haben. Die Erfahrungen mit diesem Projekt hätten den Weg zu mehr Vorsicht und Bescheidenheit weisen müssen. Seit 2012 laufen die Bauarbeiten am Offenbachplatz. Was drei Jahre dauern sollte, ist bis heute nicht fertig. Niemand wagt, ein festes Datum für den Abschluss des Projektes zu nennen. Die Kosten sind von 253 Millionen auf 1,45 Milliarden Euro gestiegen. Bisher.
Wer sich mit der Geschichte dieser Sanierung beschäftigt, stößt auf eine schier endlose Kette aus Inkompetenz und fehlender Verantwortung. Zum Start gibt es weder eine tiefergehende Prüfung der Bausubstanz noch eine professionelle Bauleitung. Als verantwortlich zeichnet vielmehr eine dreiköpfige Gruppe, die vom Sanieren keine Ahnung hat: Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann, Opern-Intendantin Birgit Meyer sowie Patrick Wasserbauer, Direktor der Städtischen Bühnen – und bis heute im Amt.
Als die parteilose Henriette Reker 2015 zur Kölner Oberbürgermeisterin gewählt wird, verspricht sie, auf der Baustelle aufzuräumen. Sie überträgt dem ehemaligen Kölner Baudezernenten Bernd Streitberger die Verantwortung. Mit Erfolg agiert der Manager bis zu seinem Ausscheiden im Sommer 2024 allerdings nicht. In der jüngsten Vorlage der Verwaltung für den Rat heißt es: »Aufgrund des schwerwiegend gestörten Bauablaufs über die vergangenen Jahre bestehen in vielen Bereichen massive Koordinationslücken zwischen den zahlreichen Gewerken.« Und weiter: »Zudem bestehen erhebliche Risiken, wenn technische Anlagen in Betrieb genommen werden müssen, die schon vor einigen Jahren installiert wurden.«
Und wenn es wider Erwarten doch noch funktioniert mit der Tanzsparte ab 2028, lassen sich die Ergebnisse des 100.000 Euro teuren Bewerbungsverfahrens dann noch nutzen? »Das kommt darauf an«, antwortet die Stadt Köln. »Insbesondere darauf, ob die in die engere Wahl kommenden Gruppierungen dann noch zur Verfügung stehen.« Wahrscheinlich ist das nicht.