INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Der wohl stärkste Widerstand gegen die Einsparungspläne ging vom Kulturrat NRW aus, dem Dachverband nordrhein-westfälischer Kulturorganisationen. Dessen Erster Vorsitzender ist der Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, ein Theaterfreund und leidenschaftlicher Liebhaber Neuer Musik. Im Gespräch mit K.WEST leckt er die Wunden, aber gibt sich auch kämpferisch.
K.WEST: Herr Baum, 16 – nach anderer Lesart 12 – Mio. Euro sollten im Kulturförderhaushalt gekürzt werden, 2,65 Mio. davon sind wieder zurückgenommen worden. Nun beläuft er sich auf 182,5 Mio. Euro. Müssen wir alle froh sein?
BAUM: Da in Nordrhein-Westfalen die Kulturförderung im Wesentlichen bei den Kommunen liegt, war die Landeskulturförderung schon immer gering. Der CDU-FDP-Regierung ist zugute zu halten, dass sie den Kulturförderetat verdoppelt hat. Denn das Land hat eine wichtige Vorbild- und Pilotfunktion. Auch die neue Regierung hat sehr hoffnungsvoll angefangen mit der Ankündigung, diesen Ansatz nicht nur zu erhalten, sondern womöglich zu erhöhen. Noch in ihrer Regierungserklärung hat Frau Kraft die mir sehr sympathische Feststellung getroffen, Kultur sei kein Luxus. Auch die Kulturministerin Ute Schäfer erweckte den Eindruck, sich diesem empfindsamen Gebiet der Kulturförderung in besonderer Weise widmen zu wollen. Sie hat zugehört und sich eingearbeitet. Aber mit den Haushaltsberatungen und den von ihrem Haus vorgeschlagenen Kürzungen ist eine Zäsur erfolgt; das wirkt wie ein Menetekel für uns. Deshalb haben wir uns auch so gewehrt. Und wir werden das fortsetzen.
K.WEST: Sie haben im Internet eine Protest-Liste ausgelegt, in die sich knapp 8.000 Menschen eingetragen haben …
BAUM: Der Kulturrat hat sich wohl noch nie so stark engagiert, wir haben mit vielen Kulturpolitikern, mit Abgeordneten und den Fraktionsvorsitzenden im Landtag gesprochen, haben ganz intensiv geworben für die Kulturpolitik. Doch dass wichtige Repräsentanten der Kultur sich gleichfalls öffentlich engagiert hätten, das fehlte. Einige haben zwar unterschrieben bei unserer Internet-Aktion, aber sich nicht unmittelbar engagiert.
K.WEST: Womit erklären Sie sich das?
BAUM: Offenbar wird die Gefahr nicht gesehen, der die Kultur ausgesetzt ist, diesem Erosionsprozess. Es ist ja nicht ein Hammerschlag, sondern ein schleichender Prozess. Selbst ein gleichbleibender Etat ist – durch Kosten- und Tarifsteigerungen – ein verminderter Etat. Es wäre sehr einfach gewesen, die Menschen zu mobilisieren, wenn man hätte sagen können: Diese Galerie, jenes Festival wird geschlossen oder eingestellt. Die Sache war nicht zum Anfassen. Aber es muss ja jedem vernünftigen Menschen einleuchten, dass, wenn soundso viele Millionen im Jahre 2013 nicht mehr zur Verfügung stehen, dies irgendwelche Folgen hat. Auch wenn nun aus der Sicht des Kulturrats wichtige Aufgaben – Filmförderung, Förderung literarischer Zwecke, regionale Kulturförderung, interkulturelle Kulturarbeit – wieder eine Aufstockung erfahren haben, können dennoch uns wichtige Projekte nicht mehr realisiert werden. Sorgen machen uns vor allem auch die kommenden Jahre! Es fehlen ab jetzt die Finanzpolster, um künftige Kürzungen aufzufangen.
K.WEST: Wenn die Ministerpräsidentin verkündet: Das Niveau der Kulturförderung wird gehalten, und ein dreiviertel Jahr später davon nichts mehr wissen will, muss man das nicht als Wortbruch bezeichnen? Die Kulturschaffenden im Land müssen doch das Vertrauen verlieren.
BAUM: Die Gefahr besteht. Das Vertrauen ist jetzt gestört. Das hängt auch damit zusammen, dass in den Fraktionen die Sensibilität für Kultur nicht sehr hoch ausgeprägt ist. Das ist ein Minderheitenthema, das vielen Politikern nicht nahe liegt.
K.WEST: Der Ministerpräsidentin sollte es nahe liegen. Sie haben, hört man, während der Haushaltsberatungen auch mit ihr gesprochen?
BAUM: Ja, aber das war nur eine kurze Begegnung in der Lobby. Sie wusste genau, warum ich da war. Und hat eine Bemerkung gemacht, die Skepsis ausdrücken sollte in Hinblick auf den Erfolg unserer Aktivitäten. Ich habe ihr nochmals gesagt, wie wichtig es sei, über die materielle Seite hinaus der Kultur gegenüber in einer Geste zu vermitteln, dass sie ernst genommen werde. Mit Frau Schäfer allerdings haben wir intensiver geredet. Ihr habe ich gesagt: Wissen Sie, Sie haben sich Vertrauen erworben in der Kulturszene, und das setzen Sie jetzt aufs Spiel. Sie hat auf die Zwänge hingewiesen, denen sie ausgesetzt ist. Aber wir sind der Meinung, dass sie andere Möglichkeiten gehabt hätte, mit dem Sparen zurechtzukommen. Der Kultursprecher der SPD, Andreas Bialas, war in dieser Richtung aktiv. Und der kulturpolitische Sprecher der Grünen, Oliver Keymis, hat während der Haushaltsberatungen Deckungsvorschläge gemacht, wie eine so starke Kürzung des Kulturetats hätte vermieden werden können.
K.WEST: Sogar über das jetzt Beschlossene hinaus!
BAUM: Über 7 Mio., ja. Aber er stand ja selbst in seiner Fraktion damit allein. Was wir seinem Fraktionsvorsitzenden gegenüber auch angesprochen haben.
K.WEST: Wir stoßen immer wieder an diesen Punkt: den mangelnden Rückhalt für Kultur bei den Politikern. Sie haben eine großen Überblick: Hat dieser Rückhalt abgenommen?
BAUM: Nein, dem würde ich so ohne weiteres nicht zustimmen. Es gibt in Sachen Kultur bei den Politikerkollegen immer schon eine große Gleichgültigkeit. Viele haben keine persönliche Nähe zur Kultur. Wenn ein Kollege oder eine Kollegin etwa der Meinung ist, das Kammermusikfestival Witten sei nicht wichtig, aber einsieht, dass es für andere wichtig ist und das respektiert – dann ist das eine Haltung, die mir imponiert. Entscheidend ist immer, ob einer da ist, der das Heft in die Hand nimmt. Wie der Kulturstaatsminister Bernd Neumann etwa, der ist ein Anwalt der Kultur, der beschafft das Geld. Würde in der Landesregierung jemand sein, der kämpft, sähe die Situation anders aus.
K.WEST: Aus dem Kulturministerium kam hingegen jüngst die Bemerkung: »Wir können um die Kultur keinen Zaun ziehen«. Können wir wirklich nicht? Müssen wir nicht sogar um manches einen Zaun ziehen?
BAUM: Ich finde auch, das war eine sehr ungeschickte Äußerung. Das klingt ja so, als sei die Kultur ein exotisches Gebiet, eine Art Zoo. In dieser Bemerkung liegt eine Abwertung. Die Kultur ist kein x-beliebiges Politikfeld. Sie hat eine Sonderstellung, sage ich mit einer gewissen Arroganz. Ich halte nichts davon, die einzelnen Ressorts gegeneinander auszuspielen. Ich bin allerdings ganz entschieden der Meinung, dass die Förderung von Kultur keine Subvention ist, die man gleichsetzen kann mit der von Mais oder Solarenergie. Und ein Land, das nicht versteht, dass die kreativen Kräfte in seiner Gesellschaft für seine Zukunft unverzichtbar sind, tut mir leid. Ein Gesellschaft, die sich immer stärker auf ökonomische Effizienz hin orientiert, ist auch verloren. Sie blutet aus.
K.WEST: Ein Problemfeld, das dieses Jahr bestellt werden soll, ist das geplante Kulturfördergesetz, das u. a. den Haushaltssicherungs-Gemeinden die Möglichkeit geben soll, weiter Ausgaben für die Kultur zu tätigen. Wie stehen Sie dazu und welche Chance geben Sie dem – nachdem der dafür ursprünglich geplante Ansatz im Haushalt in Höhe von 7,5 Millionen fast komplett gestrichen wurde?
BAUM: Ich habe den Eindruck, dass mit diesen Kürzungen das ganze Projekt Kulturfördergesetz in Gefahr gerät. Dieses Gesetz hat für uns, für den Kulturrat, eine wichtige Bedeutung, weil es ein Hebel ist, über den Stellenwert und die Bedeutung der Kultur im Lande Nordrhein-Westfalen zu diskutieren und Eckwerte festzulegen. Das Kulturfördergesetz ist eine Möglichkeit, die Politik zu Erklärungen zu veranlassen, wie hoch sie die Kultur einschätzt. Wir werden darauf drängen, dass Fraktionen wie Regierung den Ankündigungen Taten folgen lassen. Ganz generell stellt sich die Frage: Was würde in den nächsten Jahren noch passieren, wenn die Politiker nicht wüssten, dass sie auf Widerstand stoßen?