Nun ja, man muss Abstriche machen. So weit ist es gekommen. Vom amerikanischen Traum bleibt ein Hemdchen mit blau-rot aufgedruckten Sternen. Von Brandos Body unter dem gespannt strammen weißen T-Shirt ein farbiger Sportdress über einem nicht ganz so knackigen Männerkörper (Inhaber: Martin Rentzsch). Die Personen, die sich in den Bochumer Kammerspielen zunächst zu einigen Gruppenbildern und dann zum Stück von Tennessee Williams versammeln, sehen aus wie von heute, benehmen sich aber wie von gestern. Es fängt an beim Haus der Kowalskis (Bühne Julia Scholz), das mit Sperrmüll aus neueren Tagen zugestellt wurde. Hier lebt kein Proletariat, das auf sich hält, hier haust das Prekariat. Da stimmt doch was nicht. Und es funktioniert auch nicht. Das Theater sollte wissen, wohin es gehört. Ein eigentümlicher Historismus beherrscht die Bochumer Spielzeit, begonnen mit Ibsens »Rosmersholm«, fortgesetzt mit dem emotional gesättigten, symbolisch aufgeladenen Drama einer verblühten Belle of the South, die Phantasie und Realität nicht mehr zu trennen weiß. Der Versuch der Vergegenwärtigung läuft sogleich ins Leere, wenn die Verhaltensmuster der Figuren in Konversationen, Konventionen und altmodischen Idealen verhaftet sind, die eben mal sechs Jahrzehnte zurück liegen. Man hat halt ein Problem, wenn man es für nötig hält, das Trivialgenre als Folie zu benutzen. Das Imperium schlägt zurück. Amerikas alte Psycho-Dramatiker sind die Stärkeren. Oder man muss Castorf heißen. Hier aber heißt die für Regie Verantwortliche: Jorinde Dröse. Was ihr mit Raymond Carver gelang, geht mit Tennessee Williams schief. Was soll die Disco-Nudel aus der oberen Etage, was ihr dürftiger Knabe, der morgens auf der Veranda Tai Chi übt und in albernen Shorts (und einem noch alberneren Schnurrbart) herumläuft? Das Etepetete der Blanche Du Bois, die Hanna Scheibe einherstelzt, wirkt – besonders im Dialog mit ihrem Verehrer Mitch (Janko Kahle) – nur noch falsch, nicht verzweifelt komisch. Die Einzige, die sich ihre Autonomie bewahrt, im Stück wie in der Inszenierung, ist Louisa Stroux als Stella. Nach der Hälfte der Veranstaltung (75 Minuten), schienen schon drei Stunden vergangen zu sein, auf die es die Aufführung – zäh, plump, steif und unbeholfen – tatsächlich und nicht bloß gefühlt bringt. Da flirrt nichts, brütet nichts, schwitzt nichts. Endstation Lauheit. AWI
Das Imperium schlägt zurück
01. Jan. 2007