Im Abschnitt über Privatsphäre und Selbstachtung in »Ein Porträt der Straßenprostituierten im Tenderloin (1985 – 1988)« ist nachzulesen, dass Prostituierte bevorzugt auf aristokratisch oder fantasievoll klingende »Künstlernamen« zurückgreifen. William T. Vollmann hat dieses kurze »Portrait«, in dem er seine Recherchen im Straßenstrich-Milieu zusammenfasst, der eigentlichen Geschichte in »Huren für Gloria« angehängt. Quasi als Quintessenz seiner wochenlangen Feldforschung, die »Huren für Gloria« vorausgegangen ist. Darin leuchtet er den rotlichten »Tenderloin District« San Franciscos ganz zart als schmutzig schönen Sehnsuchtsort aus und stimmt einen psychotischen Hymnus an auf eine selbst käuflich nicht erreichbare Frau. Denn sie existiert wohl nur in der Fantasie des Sozialhilfe-Empfängers Jimmy: Gloria, die schon im »Künstlernamen« Entrückte.
Gloria ist ein Versprechen, das der zunehmend verwahrlosende Vietnam-Veteran zwanghaft konkret werden lassen möchte; für das er den Rest seiner Tage dran zu geben bereit ist. Um Gloria aus dem Wahn in sein haltloses Leben herüberzuholen, zieht Jimmy durch die desolaten Transvestiten-Bars des Viertels, treibt sich auf dem Straßenstrich herum, mustert die von Drogen aufgezehrten Huren auf ihren Gebrauchswert für seine Fantasie. Meist lässt er sich von ihnen Geschichten erzählen. Je hoffnungs- und trostloser, desto besser. Nicht an den unzähligen, von Einstichen, blauen Flecken und Abszessen gezeichneten Körpern befriedigt sich Jimmy, sondern an Erinnerungen. Er befingert sie, um den Schmutz hinterher in Schönheit zu verwandeln und die Vision »Gloria« mit den gereinigten Erzählungen auszustaffieren, wie eine »Himmelsgöttin, die im Rauche ihrer Opfer schwelgt«.
»Huren für Gloria« ist als erster Teil einer Trilogie über käufliche Liebe bereits 1991 in den USA erschienen. Im letzten Jahr wurde William T. Vollmann dort für seinen Roman »Europe Central« mit dem »National Book Award« ausgezeichnet. In seiner Heimat scheut man selbst Vergleiche mit Thomas Pynchon oder William Gaddis nicht, um den Rang Vollmanns herauszustellen. Auf Deutsch ist vor drei Jahren bisher aber nur die 1992 veröffentlichte literarische Reportage »Afghanistan Picture Show oder Wie ich lernte, die Welt zu retten« erschienen. Mit dem in seiner emotionalen Gewalttätigkeit und Drastik ebenso verstörenden wie über weite Strecken zarten – was angesichts des Geschilderten nicht minder irritierend ist – »Huren für Gloria« ist nun ein Anfang gemacht, um auch den Romancier William T. Vollmann zu entdecken. Der verfügt über ein feines, durch Kriegsreportagen geschultes Sensorium für die hoffnungslose Brutalität, die in den moralischen Sperrgebieten unserer Zivilisation herrscht. Und über die meisterhaft gehandhabte Gabe, diese Desolatheit ohne Weichzeichnereffekte durch den feinen Filter kunstvoll rhythmisierter Prosa zu brechen.
Dort, im Tenderloin District, gilt als Freak, wer nicht für Körper, sondern für Erinnerungen bezahlen möchte. Denn ein solcher, die Spielregeln des Gewerbes verletzender Wunsch nach Intimität verrät – das wissen die Huren aus im Anhang dokumentierter Erfahrung – die Abnormität. So ist das Äußerste, was Jimmy von Gloria erwarten darf, nicht Erfüllung, sondern: Erlösung.
William T. Vollmann: Huren für Gloria. Suhrkamp, 2006, 198 S., 17,80 €