Ein neues Musical, erfolgreich am Broadway, hatte seine europäische Erstaufführung am Landestheater Detmold. »Liebe, Mord und Adelspflichten« heißt die fröhliche Boulevardkomödie mit einer swingenden Musik, die so auch in den 50er Jahren entstanden sein könnte. Nostalgie und Novität an einem Abend. Die Adligen sind ziemlich durchgeknallte Gesellen und werden von einem einzigen Darsteller verkörpert. Sie sind vor allem dazu da, auf fantasievolle Weise gemeuchelt zu werden – von Monty, der in der Adelshackordnung aufsteigen will und diejenigen beseitigt, die in der Erbfolge vor ihm liegen.
Am Landestheater Detmold hat dieses Stück einen besonderen Beigeschmack. Denn es wurde 1825 als Hoftheater eröffnet, der bis heute im Betrieb stehende Neubau stammt aus den ersten Jahren des ersten Weltkriegs. Landestheater, das klingt klein, kompakt, vielleicht sogar niedlich. Aber es handelt sich in Detmold um die größte Reisebühne Europas und das einzige der vier Landestheater in NRW, das mit allen Sparten aufwarten kann. Oper, Ballett, Schauspiel, Orchester, Jugendtheater. Außerdem gehört es zu den traditionsreichsten Bühnen im Lande, schon 1825 wurde es als Hoftheater eröffnet. Als vor neun Jahren der Journalist Ralph Bollmann eine Entdeckungsreise durch die deutsche Theaterprovinz unternahm, veröffentlichte er sein Buch unter dem Titel »Walküre in Detmold«.
Getragen wird das vielfältige Programm in Detmold von einem funktionierenden Bildungsbürgertum. Hier gehen Leute ins Theater, die stolz auf ihre Bühne sind, die vorher in den Schauspiel- oder Opernführer schauen und sich mit dem auseinandersetzen, was sie geboten bekommen. Einer von ihnen ist Stephan Prinz zur Lippe, der Enkel des letzten regierenden Fürsten in Detmold.
Der Prinz ist ein Theatergenießer
Das Detmolder Schloss liegt direkt gegenüber vom Landestheater. Man kann es besichtigen, die Familie wohnt allerdings auch weiter darin. Der Prinz hat es also nicht weit, wenn er ins Theater will. Was oft passiert, er ist auch im Vorstand des Fördervereins. »Wir sind stolz darauf,« erzählt er, »dass die Wurzeln dafür unsere Vorfahren gelegt haben. Wir begleiten die Entwicklung des Theaters nach vorne und in die Zukunft sehr gerne weiter mit. Wir sind einfach sehr große Theaterfreunde und Theatergenießer«.
Das Wort »Genießen« fällt häufig im Gespräch mit dem Prinzen. Der Besuch einer Vorstellung ist für ihn etwas Kulinarisches, ein Unternehmen, das Freude bereitet. Man will genießen, entspannen, etwas Schönes erleben, weder die Banalitäten des Alltags noch die Scheußlichkeiten der Tagesnachrichten um die Ohren gehauen bekommen. Da tickt Detmold ein bisschen anders als das aktuelle Metropolentheater, in dem zumindest im Schauspiel Diskursstücke immer mehr die Oberhand gewinnen.
Für ein bisschen Flucht aus der Wirklichkeit ist das Landestheater bestens geeignet. Das schicke Säulenportal erinnert an antike Tempel, es gibt ein Kronleuchterfoyer, Logen und Plüschsessel. »Dieses Gebäude, so wie es jetzt steht, ist ja unter meinem Großvater gebaut worden«, berichtet Stephan Prinz zur Lippe. »Da steht auch oben im Portal: Erbaut in den Kriegsjahren 14/15. Erster Weltkrieg. Und in der Zeit des Krieges hat mein Großvater ein Theater neu gebaut, nachdem 1912 der alte Bau abgebrannt war. Das war ein sehr starkes Nach-Vorne-Schauen und auch ein Hoffnungszeichen.«
Ein Hoffnungszeichen, das Stephan Prinz zur Lippe auch als Signal für die Gegenwart verstanden wissen will. Solange es ein Theater gibt, existiert auch Hoffnung. Deshalb haben Komödien ihren festen Platz im Spielplan. Auch die auf anderen Bühnen weitgehend verschwundene Operette wird hier regelmäßig gepflegt. Elisabeth Wirtz ist die leitende Dramaturgin für Musiktheater und Konzerte. »Als großes Haus muss man darauf achten,« sagt sie, »dass man nicht in eine Schieflage kommt und einem das Publikum wegläuft. Wir dürfen nicht nur zeigen was wir selbst für wichtig halten, sondern sollten uns auch daran orientieren, dass die Leute ein bisschen Vergnügen brauchen.«
Elisabeth Wirtz arbeitet seit Jahrzehnten in Detmold und hat viele Veränderungen erlebt. Früher gab es fest angestellte Operettenspezialisten, heute sind die Ensembles kleiner. Dennoch bietet das Theater eine große Bandbreite an, von Mozarts »Le Nozze di Figaro« bis zum politisch-kritischen Gegenwartsdrama. »Ich glaube,« sagt die Dramaturgin, »dass Vielfalt im Angebot heute ein Muss ist. Weil wir ja als Theater gegen viele andere Medien ankämpfen. Ganz abgesehen davon, dass wir sehr viele Abstecherorte haben, die unseren Spielplan kaufen. Aber heute ja nicht mehr den ganzen Spielplan – wie das früher üblich war – sondern sich daraus picken, was für ihr Publikum das Beste ist«.
Abstecherorte nennen die Landesbühnen Städte, in denen sie regelmäßig Gastspiele zeigen. 50 Prozent seiner Vorstellungen soll ein Landestheater auf Tour zeigen und Gemeinden versorgen, die keine eigenen Ensembles haben. Doch was die sogenannten Bespieltheater einkaufen, hat sich im Lauf der Jahre verändert. »Die Abstecherorte,« erläutert Elisabeth Wirtz, »wollen keinen Verdi mehr, weil gefühlt 10 000 Verdis unterwegs sind. Man will dieses ganze klassische Repertoire, das es einmal gegeben hat an den Stadttheatern, nicht mehr sehen. Es muss eigentlich fast immer der Hype sein«. Wie die deutsche Erstaufführung eines Broadwaymusicals. Dass hier der Adel verballhorn wird, darüber können der Prinz und seine Familie fröhlich lachen.