TEXT: GUIDO FISCHER
2016 ist es so weit. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, feiern John Medeski, Billy Martin und Chris Wood ein Band-Jubiläum: 25 Jahre in unveränderter Besetzung. Ein Vierteljahrhundert! Selbst im Jazz sind solche Langzeitbeziehungen eher die Ausnahme. Doch sind die drei Amerikaner andererseits auch keine normale Jazz-Combo. Zwar bilden in der Theorie Bass und Schlagzeug das traditionelle Rückgrat eines Trios. Doch mit der Hammond-Orgel kommt ein Tasten-Möbel ins Spiel, bei dem keine normalen Jazz-Gespräche mehr möglich sind.
Kaum hat Medeski den Schalter seines elektrifizierten Instruments auf »On« gestellt, knetet er aus ihr flippig wabernde Melodie- und Rhythmus-Gebilde heraus. Dazu steuern Chris Wood am Bass und Billy Martin am Schlagzeug eine dauerquirlige Motorik bei, die sich nicht selten bei Funk- und Hiphop einnistet. Was Medeski, Martin & Wood da machen, lässt sich mit dem beliebten Oberbegriff Fusion bezeichnen. Was aber am Kern eines Sounds vorbeizielen würde, der so gar nichts mit der mainstreamigen Synthese aus Jazz, Rock und Pop zu tun hat.
Bei MM&W ist nichts vorhersehbar oder geplant, sondern nimmt im Laufe eines Albums bzw. Abends auch über klangpsychodelische oder avantgardistische Experimente impulsive Fahrt auf. Schließlich ist der Rhythmus der Star jeder MM&W-Session. Oder wie es Medeski auf den Punkt bringt: »Wir machen so etwas wie Jazz. Aber spielen definitiv keinen swingenden Jazz. Wir grooven.«
Diese Grundhaltung besaß man seit den Anfangsjahren, als sich die studierten Musiker in New York kennenlernten. Dass sie damals eher Lust auf Jazz-Party als auf die klassische Jazz-Etikette hatte, brachten sie in dem ersten Band-Namen zum Ausdruck. In Anlehnung an Saxophonlegende John Coltrane nannte sich die Gruppe »Coltrane’s Wig« (Coltranes Perücke). Doch schneller als gedacht, wurde sie unter dem Kürzel »MM&W« bekannt. Bei ihren Tourneen im VW-Bus spielten sie vor tausenden College-Studenten. Auch Einladungen in die New Yorker Avantgarde-Zirkel nahmen zu. Man jammte etwa im legendären Knitting Factory-Club mit Gleichgesinnten wie dem Trompeter Steven Bernstein und dem Brachial-Saxophonisten John Zorn. 1998 wurden die Herren ins Establishment aufgenommen und unterschrieben beim ehrwürdigen Blue Note-Label einen Vertrag. Mit dem Jazz-Gitarren-Hero John Scofield veröffentlichten sie das Album A Go Go, mit dem MM&W in Europa seinen Status etablierte – als Geheimtipp.
Seit 2006 sind die gereiften Jazz-Hipster zwar wieder ohne festen Plattenvertrag. Die Karriere knickte deshalb aber nicht ein. Im Gegenteil. Jeder der Drei ist mit seinen Zweitprojekten ebenfalls erfolgreich und wird von prominenten Musikerfreunden gebucht. In den im Staat New York liegenden Catskill Mountains veranstalten sie jährlich das »Camp MMW«, bei dem Nachwuchsmusiker mit Chris Wood, Billy Martin und John Medeski zusammen arbeiten. Zwischendurch machen sich MM&W nach Europa auf, um eines ihrer seltenen Konzerte zu geben. Den einzigen NRW-Auftritt in Dortmund bestreiten sie im Quartett-Format. Als Gast wurde der amerikanische Gitarrist Nels Cline eingeladen, der wie seine Landsleute nichts von der reinen Jazz-Lehre hält, sondern bisweilen handfesten Krach bevorzugt.
29. März 2014, Domicil Dortmund. www.domicil-dortmund.de