Hochleistungssport. Ein Match, ein Fight, ein Sportstück? Wir sind aber nicht im Boxring, auf der Formel-1-Rennstrecke oder bei der Leichtathletik-WM, sondern im Gerichtssaal. Auf diesem Kampfplatz läuft Tessa zur Superform auf, wenn sie »ihr Spiel« macht, bei dem sie nicht nur den Kopf einschaltet, sondern mit dem Adrenalinschub den »puren Instinkt« loslässt. Justiz-Darwinismus.
Klingt wie ein Hollywoodfilm nach einem Roman von John Grisham. Und Tessa Jane Ensler hat auch so was von einem weiblichen Tom Cruise in »Die Firma«. Zunächst. »The winner takes it all«. So sehen – nach der ersten Szene von 18 in Suzie Millers aus Gegenwart und Rückschau gebautem Monodrama – Sieger aus. Aber Drama ist erst, wenn Triumpf und Niederlage ein Paar bilden.
Als Stück des Saison gehandelt, wird das vielfach ausgezeichnete »Prima Facie« (Bis auf Widerruf) von Suzie Miller nach seiner deutscher Erstaufführung im September 2023 am Berliner DT vielfach nachgespielt, nun auch in Düsseldorf. Großes Solo für eine Schauspielerin, großer Schaukampf, große Anklageschrift. Vielleicht alles in allem etwas zu groß und großartig.
Tessa fährt heim zur gesellschaftlich kleinkarierten Mutter und den Brüdern Johnny und Micky, geht an die Universität in Cambridge, wo sie in einer Vorlesung an der Law School mit ihrer eigenen sozial minderbemittelten Herkunft und der dort herrschenden Elitebildung konfrontiert wird. Sie trifft sich mit Kolleg*innen im Pub oder zum Lunch, diskutiert die Rechtsprechung, ethische Prinzipien und die weniger moralische Praxis sowie anwaltliche Methodik und Strategie.
Und Tessa beginnt eine Affäre mit Julian Brookes, einem Kanzlei-Kollegen, Sohn aus gutem Haus und ein »richtiges Verteidigerschwein«. Während eines Abends in ihrer Wohnung kommt es nach zu viel Alkohol zum sexuellen Übergriff. Tessa zeigt Julian wegen Vergewaltigung an, wissend, was damit auf sie zukommt und die Entscheidung für ihre Karriere und ihr persönliches Leben bedeuten kann.
Dies die Vorgeschichte, die auf das Gerichtsdrama zuläuft: Tessa muss sich – in Umkehr der gewohnten Rolle als Strafverteidigerin – dem London Crown Court stellen. Die Verhandlung ist auf drei Tage angesetzt: Aussage, Befragung und das Kreuzverhör, durchgeführt von einem »Vollblut«-Verteidiger und von Luzie Miller so geschrieben, dass wir anfangs nur Tessas Antworten, aber keine der an sie gerichteten Fragen hören.
Tessa allein. Einzige Frau unter Männern. Aber »auf jeden Fall kein Opfer« in den Augen des der Tat Verdächtigen. Tessa allein gegen das System und die verfestigten Strukturen von Macht und Dominanz. Tessa traumatisiert. Das ist die Radikalperspektive des Stücks, des Wutstücks und Wundstücks. »Die Erfahrung sexualisierter Gewalt wird nicht als ordentliches, zusammenhängendes, objektives Ganzes erinnert. Und deshalb wird uns vor Gericht so selten geglaubt.« Erkennt Tessa, die kein Recht bekommt.
Knall auf Fall. Vor dem herabgelassenen Eisernen Vorhang im Düsseldorfer Schauspielhaus befindet sich ein schmales Karree mit einer Reihe von Klappsesseln, das bis dicht ans Parkett reicht. Von Musik befeuert, im gebleckten Scheinwerferlicht steht die junge Frau in rotem Hosenanzug. Zunächst Dancer in the Light, beginnt sie mit Bewegungen, die konventionell ausfallen, unternimmt sie es, den Raum für sich spielbar zu machen und sich in ihm zu behaupten. Die Regie (Philipp Rosendahl) ist dabei nicht hilfreich. Statt Spannungen zu erzeugen, Nerven bloßzulegen, Ruhezonen zu schaffen, macht die Inszenierung Tamtam, banalisiert, illustriert, veräußerlicht und veräußert die Person, um die es geht. Schüttet sie beim Übergang zum Gerichtsakt zu mit einer Sturzflut projizierter Zahlen, deren umgekehrter Countdown bei 782 einrastet (so viele Tage bis zum Prozessbeginn) und setzt sie einer malerischen Wasserdusche aus. Voll daneben. Lou Strenger hat Direktheit, Vitalität, Komödiantentum, Ichstärke und Schmerzempfindlichkeit, Shirley-MacLaine-haftigkeit.
Am stärksten ist sie dann, wenn um sie herum keine Wirkung produziert wird, wenn alles von ihr abfällt und sie, buchstäblich, nicht im Regie-Regen steht. Wenig ist mehr und am meisten, wenn sie die Vergewaltigung indirekt erzählt, ihren demütigenden Passionsweg geht, ihr Plädoyer hält, ihre Figur klein hält, auf dass sie Größe annimmt. Selbstermächtigung ja, aber nicht zur Leerformel gestanzt.
»Prima Facie« ist ein Manifest, das sich zum Ende hin vom individuellen Fall zur allgemeinen Betrachtung, mehr noch, zur Anklage des »Verbrechens an einem Menschen« erhebt und zur Aufforderung nach Veränderung der Paragraphen und des Bewusstseins wird. »Die juristische Wahrheit« behält nicht das letzte Wort.
7., 23. Dez., 8. und 21. Jan., Düsseldorfer Schauspielhaus, dhaus.de