TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
In den 1950er und 1960er Jahren war die Sprudelwasserszene der BRD etwas unübersichtlich – rund 300 verschiedene Flaschenformen gab es zu dieser Zeit, oft ausgestattet mit den urigen »Plopp-Verschlüssen«, wie man sie von Bierflaschen kennt. Deutschland räumte auf, auch die »Genossenschaft Deutsche Brunnen« (GDB) plante in ihrer Branche eine Vereinheitlichung und Normierung der Flaschenform. Einerseits um sich optisch von der Konkurrenz abzuheben, andererseits war ein bundesweit standardisiertes Vertriebssystem für Mehrwegflaschen geplant – auch um sich gegen Coca-Cola zu positionieren, die damals immer massiver auf den deutschen Markt drängte.
Eine Mineralwasserflasche musste her, die visuell ansprechend und gleichzeitig robust und funktional sein sollte. Die »GDB« beauftragte den Industrie-Designer und gelernten Bildhauer Günter Kupetz mit dem Entwurf. Erfahrung mit Flaschen hatte der Mann bereits, auch die »Pril-Flasche«, die ab 1960 in den Supermarktregalen zu finden war, stammte von ihm. Das Ergebnis war die »Brunneneinheitsflasche« oder auch »Perlenflasche«, die zum Jahreswechsel 1969/1970 eingeführt und letztlich zu einem Design-Klassiker wurde.
Deren figurbetonte Griffmulde hatte ihr Vorbild offensichtlich bei den Brausebrauern in Atlanta; die 230 Perlen, die die Mitte der Flaschen zieren, waren indes neu. Sie sollten das Sprudeln des Wassers auf haptischer Ebene symbolisieren und wurden zum Erkennungsmerkmal der deutschen Flaschen. Günter Kupetz baute eine weitere Raffinesse ein: Kurz vor dem Boden und in der Mitte hat jede Flasche sehr schwach ertastbare Verdickungsringe. Diese sind schuld an den milchigen Streifen, die sich auf den Flaschen bilden und nicht gerade zur Schönheit beitragen. Es ist aber ein einfacher Trick für den Umgang mit den Mehrwegbehältnissen: Bei ihrem Weg durch die Reinigungs- und Sortierbänder stoßen sich die Flaschen immer wieder an; infolgedessen bilden sich die Streifen. Haben diese eine Breite von mehreren Millimetern erreicht, wird die Flasche aussortiert, da man so erkennen kann, dass die Flasche mehr als fünfzig Mal im Umlauf war. Sonst droht gerade bei kohlensäurehaltigem Inhalt Glasbruch. Seit ihrer Markteinführung sind von der »Perlenflasche« circa fünf Milliarden Stück produziert worden; Platz finden sie meist im nur bedingt ansehnlichen, klassisch-braunen Wasserkasten, dem »Gebinde«, der ebenfalls von Günter Kupetz entworfen wurde.
1982 wurde das Design der »Perlenflasche« mit dem Bundespreis »Gute Form« ausgezeichnet, dem heutigen »Designpreis der Bundesrepublik Deutschland«. 1983 kam ergänzend die grünglasige Flasche für stilles Wasser und Heilwasser in die Läden, wenn auch ohne Griffmulde und Perlenhaptik. Ende der 90er Jahre wurden die Mehrwegflaschen aus PET eingeführt, zwar wieder als »Perlenflasche«, die man aber in den Proportionen leicht abgewandelt hat. Sie besitzt nicht mehr Kupetz’ Original-Silhouette, sondern ist bauchiger geworden. Dennoch sagt der Designer über seine »Brunneneinheitsflasche«: »Ich halte den Entwurf für zeitlos und würde sagen, verbessern kann man ihn eigentlich nicht.« Seine Flaschen sind halt deutsche Wertarbeit und keine billig-wabbeligen Einwegflaschen, wie man sie in Discountern findet und die nach einem kurzen Leben geschreddert und zu Fleece-Jacken verarbeitet werden. Auch die französischen Lifestyle-Fläschchen reichen in Form und Funktion oft nicht an die »Perlenflaschen« heran, aber dafür kann man sie immer noch als schicke Blumenvase benutzen.
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