TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Anscheinend wollen Sie einen Brief schreiben. Brauchen Sie Hilfe?« Blöde Frage, vor allem, wenn sie von einer sprechenden Büroklammer gestellt wird. »Karl Klammer« (engl. »Clippy«) hieß dieses Hilfsprogramm – eine putzig animierte Cartoon-Büroklammer, die sich ab 1996 ungefragt in die Arbeit der Microsoft-Office-Benutzer einmischte und dabei so nervig wie aufdringlich war.
Als digitalisierte Witzfigur zu enden, das hatte der treue, analoge Begleiter vieler Arbeitsstunden und Kind des Industriezeitalters nun wirklich nicht verdient. Genial und einfach ist dieses kurze Stück geschickt geknickten Metalldrahtes, und doch ist es kein Werk eines ebenso genialen Designers. Stattdessen haben Techniker und Ingenieure die Büroklammer durch Jahrzehnte hindurch entwickelt und optimiert. Sie suchten einen Weg, Papiere schnell zusammenhalten zu können, ohne diese zu zerstören oder Rostspuren zu verursachen. Vor der Erfindung der Büroklammer war es in den Büros und Kontoren üblich, Dokumente mit Nadeln zusammenzustecken oder auf Metalldornen aufzuspießen.
So gesehen ist die Büroklammer eigentlich nichts anderes als eine geknickte Nadel, was sich auch an den frühen Modellen erkennen lässt, die auf Dauer keine Chance auf Weiterentwicklung hatten. Filigrane Dreiecke; rechteckige, mit zwei nebeneinander stehenden Bögen versehene Klammern oder kleine Spiralen sollten für Ordnung sorgen – durchgesetzt hat sich aber ab 1899 der »Gem Paper Clip« der »Gem Manufacturing Company«. Seine einfache Form mit den charakteristischen runden Doppelbögen liegt bis heute auf jedem Schreibtisch, meist ist das Metall mit Kupfer, Messing oder Zink beschichtet, um Rost zu vermeiden. Neben diesem runden Modell ist auch der »Perfected Gem Paper Clip« im täglichen Gebrauch zu finden, den die Firma »Trikla« 1934 patentieren ließ. Diese »Sicherheitsbriefklammern«, auf deren Packungen mit dem Versprechen »Kann niemals das Papier einreißen« geworben wurde, haben spitzere, giebelförmige Ausbuchtungen, welche angeblich die Arbeit des Zusammenheftens beschleunigen sollen.
Die Büroklammer taugt vordergründig nicht als Objekt ästhetischer Anbetung; niemand zeigt auf Partys seine neuen Klammern herum. Dafür gibt es Geschmacklosigkeiten wie mit buntem Kunststoff ummantelte Stücke oder neonfarbene Plastikklammern von geringer Lebensdauer. Kinder plündern schon mal Papas Schreibtisch und basteln Halsketten aus ihnen, und das gelangweilte wie mutwillige Verbiegen während langer Sitzungen wird damit bestraft, dass man die Teile danach nicht wieder anständig in ihre bisherige Form zurückbiegen kann. Dafür braucht es schnelle Maschinen, wie uns Armin Maiwald in einem YouTube-Maus-Beitrag über die Herstellung der Büroklammern zeigt. Die aufgebogene Büroklammer lässt sich allenfalls noch dafür nutzen, um am defekten CD-Laufwerk den Notauswurf zu aktivieren.
Bei aller Spielerei ist die Büroklammer auch ein politisches Symbol. Als Norwegen im April 1940 von Deutschland besetzt wurde, wurde die Büroklammer, getragen am Revers oder Kragen, zum Symbol des Widerstandes und des »Zusammenhaltes« des Volkes; zum Bekenntnis zur Regierung und zum Königshaus. Diese öffentliche und stille Demonstration wurde rasch verboten, woraufhin die Klammern verdeckt getragen wurden. Heute ist die Büroklammer in Norwegen nicht zu übersehen – in Sandvika nahe Oslo haben sie ihr ein Denkmal gebaut; keine patriotische Überinszenierung, sondern eine überdimensionierte Büroklammer, schlicht und schön.
Eine Übersicht verschiedener Büroklammer-Modelle: www.earlyofficemuseum.com/paper_clips.htm