Weiße Flotte – ein Name, so verheißungsvoll wie eine warme Sommerbrise. Er klingt nach Bora-Bora, Palmenschatten, kühlen Drinks und der Zeit, als Sascha Hehn noch Kapitän auf dem Traumschiff war. Stattdessen landet man mit einer kühlen Fanta in Königswinter, Zons oder im Haus Scheppen. Es muss aber nicht das Schlechteste sein, wenn die geplante Weltflucht kurz vor der Haustür endet. Denn auch in den heimischen Flusstälern kann man – selbst in Corona-Zeiten! – die Mühen des Alltags an den Ufern zurücklassen, an Bord der Weißen Flotte.
Schon der Gang über den schwankenden Steg weckt Erinnerungen an vergangene Sonntagsausflüge – wenn es nicht gerade schüttet, strebt der Körper nach oben aufs Sonnendeck, um sich den spektakulärsten Platz an der Reling zu sichern. Auf dass keine Ente verpasst werden möge! Dazu die wohlige Erschütterung, die sich vom Schiff auf die Passagiere überträgt, wenn der Pott seine Motoren anlässt. Das Entfernen vom Ufer, das in eine langsame, aber stetige Fahrt übergeht; das gelassene Vorüberziehen heimischer Vegetation. So muss sich Fitzcarraldo damals auf dem Amazonas gefühlt haben. Es ist eine ganz bestimmte Art des Reisens, bei der man nirgends ankommen muss. Der Weg ist das Ziel. Klar, es gibt einen Zielort, meist eine malerische Fachwerkstadt, durch die man gescheucht wird, um ja wieder pünktlich am Steg zu sein.
Bezaubernderweise schippert man meist in einem Ambiente, dass sich in den letzten 30 Jahren nur wenig verändert hat. Es gibt sie noch: Die bauchigen Weingläser mit den grün geriffelten Griffen von der Mosel. Die gefliesten Tische im Innenbereich. Schumanns »Rheinische Sinfonie«, die beim Ablegen durch die Lautsprecher braust. Die ausgeblichene Schöller-Eiskarte mit den übermalten Preisempfehlungen. Die unverwüstlichen Tagesausflugsrentner*innen, deren beige Gewänder heutzutage immer mehr schrillfarbiger Funktionskleidung weichen. Vorbei sind jedoch die Zeiten, als sich die Menschen mit Kind und Kegel in den Nachkriegsjahren auf den Ausflugsschiffen drängten, weil Mallorca noch zu teuer war. Als die Kanzler Adenauer und Kohl ihren Staatsgästen die rheinische Republik vom Bord der Weißen Flotte zeigten. Und Willy Schneider im dreiteiligen Maßanzug vom Wein, der Liebe und dem Leben sang.
Um ihre Pötte wieder mehr auszulasten, bieten viele Flottenbetreiber auf ihren Schiffen längst andere Formate an. Auftritte bekannter Comedy-Fachkräfte, Lesungen, Disco und sommerliche Raves an Deck – der eventbegeisterte Freizeitarbeiter muss schließlich, wenn nicht gerade eine Pandemie unterwegs und für Abstandsregelungen sorgt, durch solcherart Amüsements bei Laune gehalten werden. Wenn man bedenkt, dass die Weiße Flotte Baldeney im Frühjahr 1933 auch drei Fähren in Betrieb hatte, um die Bergleute der umliegenden Zechen über den frisch angelegten Stausee zu bringen, ist das ein weiter Weg. Ob man dererlei Entertainment wirklich braucht, ist jedem selbst überlassen. Wir lehnen uns derweil zurück, halten die Nase in Sonne und Fahrtwind, lassen die Ufer bewusst unspektakulär an uns vorbeiziehen, winken anderen Schiffen zu und denken an eine Zeile Vicco von Bülows, genannt Loriot: »Ich will hier einfach nur sitzen.«