Design im Alltag. Dieses Mal: die Tellergarnitur
Es wäre interessant zu wissen, wie viele Restaurantbesucher das dekorierte Restgrün am Tellerrand wirklich mitessen. Kommen tatsächlich komplett leere Teller zurück in die Spülküche, und warum wurde das Gericht mitsamt Tellergarnitur verputzt – auf das morgen die Sonne scheine? Oder aus Mitleid? Christian Rach, der RTL-Restauranttester, warf bereits vor Jahren seine Arme anklagend gen Himmel und forderte, die Tellergarnitur doch einfach wegzulassen, weil sie sowieso kein Mensch essen würde und somit auch viel Geld in den Müll geschmissen werde. Die Quote der Tellergarnitur-Mitesser muss extrem niedrig sein – wer isst schon gern Salatblätter und Südfruchtscheiben mit erkalteter Bratensoße?
Dennoch gehört die Tellergarnitur immer noch dazu – als Retro-Relikt der 50er Jahre, als sich wachsender Wohlstand auch auf den Tellern des gutbürgerlichen Restaurants manifestierte. Die Teller sahen nicht nur voller aus, sie verbreiteten mit verschiedenfarbigen Salatblättern, geschnitzten Radieschen und kunstvoll in Form gedrechselten Orangenscheiben jenen Hauch gemütlicher Exotik, die auch das Toast Hawaii oder den Eisbecher Capri erfolgreich machte. Zudem werteten die Schnitzelverschönerungs-Maßnahmen das oft triste Umfeld aus paniertem Fleisch, Pommes und Zigeunersoße visuell erheblich auf. Die Tellergarnitur aus Salat, blassem Tomatenschnitz und ermatteter Gurkenscheibe funktioniert dabei als visuelle Brücke zum »kleinen Beilagensalat«, der separat angerichtet, aber kulinarisch auch nicht weiter ernstgenommen wird.
Das Gute an den gutbürgerlichen Tellergarnituren ist, dass sie zwar überflüssig sind, aber nicht weiter stören. Ganz im Gegenteil zu den modernen Garnituren und Dekorationen. Als gehobene Restaurants auf die Idee kamen, ihre Gerichte auf Tellern mit übergroßem Rand anzurichten, wurde das schwieriger mit der Ignoranz. Tellerränder werden großzügig und unnötig mit gemahlenen Gewürzen dekoriert, so dass die Servicekräfte ständig zum Handtuch laufen müssen, um das Puder von den Fingern zu bekommen; außerdem verlangt es vom Gast äußerst vorsichtiges Pusten bei heißen Speisen, da das Zeug sonst großzügig über den Tisch verteilt würde. Eine weitere dekorative Unart ist, die Teller zickzackförmig mit Soßenspuren zu versehen, die man dort gar nicht haben wollte; wie die zähflüssig-braune Balsamico-Emulsion aus der Plastikflasche. Bei manchen Gerichten muss vorher umständlich nicht essbares Astwerk vom Teller geräumt werden, das dem Essen zwar feine Würze verleiht, hernach aber im Weg herumliegt wie nach einem Herbststurm.
Die postmoderne Entsprechung der Tellergarnitur findet sich derweil in Feinschmeckerlokalen, in denen Dekorationswahnsinn mit »Texturen« und »Aromen« begründet wird, was in winzigen Soßenflecken und auf dem Teller verteilten Würfelchen endet. Wieder andere servieren Teller mit Trockeneisschwaden, die an den Bühnennebel eines Jennifer- Rush-Auftritts aus den 80er Jahren erinnern. Vielleicht müssen die Gasthäuser neue Begriffe für ihre klassischen Tellergarnituren finden, damit die wieder hip werden. »Das ist keine Tellergarnitur, mein Herr. Das ist unsere Vegan Corner!«