Kinoromantik ist manchmal spiegelverkehrt. Roberto Benigni, der 1999 für »Das Leben ist schön« einen Oscar abräumte, erzählte einst in einem Interview über seine ersten Kontakte mit dem Medium Film. Es geschah in einem italienischen Autokino, in dem die großen Monumentalschinken liefen, die Knirpse aber zu jung, taschengeldarm und autolos waren, um reinzukommen. Folglich kraxelten sie auf eine Anhöhe hinter dem Kino, um trotzdem zuzuschauen, sahen durch die halbtransparente Leinwand aber alles spiegelverkehrt: »Statt Ben Hur guckten wir neB ruH! Es war wunderbar!«
Im popkulturellen Rückblick scheint die Welt der Autokinos im farbigen Neonlicht der 50er Jahre, mit blinkenden Reklamen, chromblitzenden Straßenkreuzern und Kellnerinnen auf Rollschuhen, die Softdrinks an den Wagen bringen. Dabei begann alles schon viel früher – am 6. Juni 1933 eröffnete Richard Hollingshead Jr. außerhalb von Camden, New Jersey, das erste Autokino. Statt auf einer Leinwand wurden die Filme noch auf eine weiß gestrichene Mauer projiziert. Dass Hollingshead Besitzer einer Firma von Autopflegemitteln war, passt ins Bild: Der Boom der Autokinos verband sich mit der steigenden Mobilität der Gesellschaft und durch die Massenproduktion erschwinglichen Automobile. Bis 1927 verkaufte Ford 15 Millionen des legendären »Modell T«, genannt »Tin Lizzie«, was auch die amerikanische Drive-In-Kultur befeuerte – wenn man schon mit dem eigenen Auto in Restaurants und Kirchen fahren kann, warum nicht auch ins Kino? Hinzukamen günstige Eintrittspreise sowie Imbissstände und Spielplätze auf dem Gelände, was Familien den Grund für einen gemeinsamen Ausflug bot. Und in der letzten Wagenreihe, der »Lovers Lane«, wurde abends weniger auf den Film geachtet, dafür um so mehr ungestört geknutscht.
Nach dem Einbruch durch Wirtschaftskrise und Weltkrieg erlebten die Autokinos in den 50er und 60er Jahren in den USA einen regelrechten Boom. Das erste Autokino Deutschlands wurde 1960 in Frankfurt am Main eröffnet, NRW musste noch sieben Jahre warten, bis es in Köln-Porz so weit war. In Essen-Bergeborbeck eröffneten 1968 direkt zwei Autokinos im Ruhrgebiet in Folge eines Wettlaufs zweier Filmgesellschaften.
Den amerikanischen Glamour vermisst man hierzulande in den Autokinos allerdings, die aufgrund von Lärm- und Lichtemissionen eher in der Gewerbegebiets-Tristesse zwischen Autoschraubern und Billigmöbelmarkt verortet sind. Erst die Corona-Pandemie sorgte nun für ein Comeback der bis dato kriselnden Autokinos. Weniger mit Filmen, sondern als sicherer Ort für Veranstaltungen, für die man sonst große Säle für viel Publikum benötigt. Etwa für Konzerte und Comedy, wo der Sound direkt per UKW-Frequenz ins Autoradio übertragen wird und es statt Applaus begeisterte Hupkonzerte hagelt – was kürzlich beim fröhlichen Kirmes-Techno von Scooter zu sehenswerter Enthemmung führte. Im Sitzen, versteht sich. Andernorts werden die Autokinos nun für feierliche Erstkommunionen sowie Meisterbriefverleihungen genutzt. Und die Dortmunder SPD musste kürzlich die Kandidaten der neu zugeschnittenen Kommunalwahlbezirke neu wählen und verlegte ihren Parteitag kurzerhand ins Autokino unter dem blauen Himmel vor dem ehemaligen Stahlwerk Phoenix-West – schwer industrieromantisch. Willy hätte es bestimmt gefallen.