TEXT: ANDREAS WILINK
Der Westen leuchtet nicht – er fühlt sich an wie die DDR, im grau-grünen und beige-braunen Siebziger-Jahre-Farbespektrum, mit staubigen Topfpflanzen in tristen Büros in Behörden mit Linoleumbodenbelag. Schon bei Niklaus Schilling (»Der Westen leuchtet« von 1981) war das Leuchten ein falscher Schein, und auch bei Christian Schwochow ist er das, aber nun weniger als ironisches Flackern, sondern als melancholisches Brennen auf kleiner Flamme.
Nelly Senff will raus aus dem Osten. Weshalb? Aus privaten Gründen, große politische Statements hat sie nicht zu verkünden. Ihr Ausreiseantrag wird genehmigt – nach zweijähriger Schikane. Sie nimmt ihren Sohn Alexej (Tristan Göbel), den sie mit ihrem Freund hat, einem russischen Atomphysiker, der einige Jahre zuvor bei einem Unfall in Moskau starb bzw. gestorben sein soll, und kommt an in West-Berlin. Notaufnahmelager. Eine Zwischenwelt. Zwölf Stempel auf Anträgen braucht Nelly, die promovierter Chemikerin, bis sie als Bundesbürgerin anerkannt ist und Arbeit und Wohnung suchen kann, wenn sie nicht der »Lager-Fluch« trifft, der bedeutet: Es gibt kein Fortkommen.
Das Thema der Geschichte nach Julia Francks Roman »Lagerfeuer« ist der Wunsch, ein neues Leben zu beginnen, und dessen schleichende Zersetzung. Nelly muss sich Verhören des US-Geheimdienstes stellen, die ihr Misstrauen bis zur Paranoia steigern. War ihr russischer Freund Stasi-Agent oder -Kurier, ist er zum Westen übergelaufen und untergetaucht, suchen ihn die Genossen, soll Nelly als Köder dienen, wird sie selbst überwacht? In Hans (Alexander Scheer), Nachbar in der provisorischen Unterkunft und Opfer des DDR-Regimes, mit dem sich der als »Ost-Pocke« in der Schule ausgegrenzte Alexej anfreundet, vermutet Nelly den Spion. Ihrem Befrager, dem Amerikaner John Bird, traut sie auch nicht.
Das Leben dieser Anderen ist auf unspektakuläre Weise besonders. Kein Stoff für ein Melodram, sondern für ein Alltagsdrama. Schwochow erzählt es genau so, schmucklos, fast möchte man sagen: glanzlos. Jördis Triebel spielt sensationell, erinnernd an Romy Schneider als Leni Pfeiffer in Bölls »Gruppenbild mit Dame« von 1972. Der Schluss hält die Dinge offen, wie eine gute Erzählung es tut. Kein Punkt wird gesetzt, sondern ein Gedankenstrich.
»Westen«; Regie: Christian Schwochow; Darsteller: Jördis Triebel, Tristan Göbel, Jacky Ido, Anja Antonowicz, Alexander Scheer; D 2013; 102 Min.; Start: 27. März 2014.