Auf der Bühne tanzen Zelte. Sechs niedlich anzuschauende, unterschiedlich farbige Einmannzelte, die hüpfen, wackeln, sich drehen, kippen, zueinander rutschen, sich auf den Kopf stellen, dick und dünn machen oder gar eins ins andere kriechen. Einfrauzelte richtiger gesagt, bilden doch ausschließlich Frauen ihren verborgenen Kern: Tänzerinnen und Schauspielerinnen aus Iran, die dieser Performance Bewegung, Stimme, Dringlichkeit verleihen. Sie rollen, springen, wabern wie Blütenkelche, scheinen heraus zu wollen aus ihrer Hülle und gerade dies nicht. Sie singen, schreien, tönen. Und klagen an: wie unberechenbar ihre Lage ist. Dass die Regeln ständig wechseln: »Shall I dance? Yersterday: No! Today: Yes.« Ein Kopf kommt aus dem Zelt geruckt und ruft, dass ihr textiles Gefängnis die Frau infantilisiert und zu einer formlosen Masse erniedrigt, ihr die Lebenslust raubt.
Die Berliner Choreografin Helena Waldmann hat das Stück mit dem Namen »Letters from Tentland« im Jahre 2004 in Teheran zusammen mit ihren sechs Darstellerinnen entwickelt. Anfang dieses Jahres wurde es beim Fadjr-Festival in der iranischen Hauptstadt uraufgeführt, im Oktober ist es in Düsseldorf als Beitrag des fft beim »neuen orient« zu sehen. Akteure in Zelten auftreten zu lassen – was zunächst wie einer jener hohlen Einfälle aus dem leer laufenden deutschen Regietheaterbetrieb aussieht, erweist sich bei näherem Hinsehen als überaus treffendes Mittel der Choreografie wie des politischen Kommentars. Denn gewiss ist, alle iranischen Frauen leben in einem Zelt, auf Persisch Tschador. Denn Tschador wird auch der Umhang genannt, den viele Frauen in Iran tragen, um das Verhüllungsgebot zu erfüllen. Das Zelt, die Glocke, unter die alles, was in der Islamischen Republik der Ayatollahs weiblich ist, gezwungen wird, aber hat viele Formen und überdeckt sämtliche Bereiche des Lebens. Nicht nur das weibliche Haar, auch die singende weibliche Stimme ist in der Öffentlichkeit verboten. Verboten sind Arm, Bein, Hals. Verboten ist Tanzen, Vortanzen für Frauen.
So bedeutet, sich im »Tschador« auf der Bühne zu bewegen, nicht nur Übererfüllung des Verhüllungsgebots und damit für alle iranischen Zuschauer erkennbare Kritik. Sondern ist auch – gute, alte Dialektik – eine Möglichkeit, das Verhüllungsgebot zu umgehen. Denn in ihrem Zelt – tanzen die Frauen in aller Öffentlichkeit. Völlig verhüllt, sind sie gut zu erkennen. Die Schemen und Ausschnitte, vom Bühnenlicht erzeugt, die Beulen in der Zeltwand – sie setzt die Kraft der Imagination und des Verlangens nach dem Verborgenen zu vollen, weiblichen, tanzenden Gestalten zusammen. Das Verstecktsein verstärkt den erotischen Reiz. Wenn dann ein kleines Stückchen Arm durch vorn angebrachte Schlitze nach draußen rutscht, wirkt dies fast, als fielen alle Hüllen. »I do my own theatre in my tent and you cannot see me«.
Waldmann nennt die Zelte, in die sie ihre Darstellerinnen steckte, das »Korsett der Befreiung«. Iranische Frauen betonen, dass das Kopftuch, das sie tragen müssen, auch ein Stück Schutz darstellt: Es ist ein Zugeständnis an die Mullahs, in dessen Windschatten den Frauen im Iran viel möglich ist, z.B. studieren.
Zu »Letters from Tentland«, einem Auftrag des staatlichen Dramatic Arts Centers in Teheran, gab es keine Regievorlage; das machte es, erzählt Helena Waldmann, ihren Schauspielerinnen anfangs schwer – zu stark wirkte die konservative iranische Theatertradition, der weitgehend unbekannt ist, dass Schauspieler nicht Texte spielen, sondern ihre eigene Lebenserfahrung in eine Inszenierung einbringen. Nach und nach sei aber das Verlangen nach körperbetontem Spiel immer stärker geworden. Natürlich verbot die Zensur einiges – z.B. einen kurzen Gesang. Oder das Licht im Zeltinnern musste gedimmt werden, um den tanzenden Körper unsichtbarer zu machen. Auch das Wort Tschador wurde gestrichen. Dennoch glaubt Waldmann nicht, dass ihre Inszenierung unter dem Regime des neuen iranischen Präsidenten Ahmadi-Nezad noch einmal gezeigt werden kann. Dafür ist sie allerdings im Rest der Welt unterwegs: in München, Seoul, Amsterdam, São Paolo, Caracas. Und jetzt in Düsseldorf.
21. und 22.10.2005, tanzhaus nrw. Zu »Letters from Tentland« ist auch ein Buch gleichen Namens im transcript Verlag erschienen. www.der-neue-orient.de