Es spricht eigentlich immer für einen Musik-Stil, wenn man nicht weiß, wohin damit. Wenn die Schubladen zum Einordnen nicht ausreichen und es nötig wird, neue zu zimmern, wird es interessant. Auch bei Kurt Wagner und seiner Band Lambchop ist unsicher, wie man deren Musik nennen soll. Alternative Country? Neo-Nashville? Chamber-Folk?
Die reduzierte Instrumentierung, ihr struktureller Minimalismus, der sich zu melancholisch-schönen Melodien verdichtet, entzieht sich konkreter Einordung. Ihr Stil ist einzigartig und hübsch verschroben – die kargen Gitarrenläufe, die Pianotupfer, Kurt Wagners geraunte Textzeilen irritieren Formatradio-Konsumenten. Wie das gleichnamige Titelstück ihrer CD »(OH) Ohio«, die 2008 ausschließlich als Beilage des Rolling Stone vertrieben wurde, das in den ersten Sekunden konsequent auf der Bremse steht; die Instrumente quengeln schon brüchig und ungeduldig im Hintergrund, um sich endlich zu einer Melodie formen zu können.
Auf der aktuellen CD »FLOTUS« haben Lambchop ihren Stil ins Elektronische erweitert. Der Titel – einer Abkürzung des Secret Service entlehnt und eigentlich die Kurzform für »First Lady Of The United States« – hat in diesem Fall aber weder konkret mit Michelle Obama, noch mit Melania Trump zu tun. Bei Wagner bedeutet er »For Love Often Turns Us Still« und ist seiner Ehefrau, der politischen Aktivistin Mary Mancini, gewidmet. Seine Stimme sollte im Mittelpunkt der Platte stehen, bei der Produktion wie ein Instrument behandelt und durch Prozessoren, Sampler, Filter und Sequencer gejagt werden, bis sie selbst zum Beat wurde. Mit seinem Nebenprojekt HeCTA hat Wagner u.a. beim Ritournelle-Abend der Ruhrtriennale 2015 bewiesen, dass man mit elektronischen Klängen experimentieren kann, ohne wie ein peinlicher, berufsjugendlicher Nashville-Cowboy zu wirken.
»In Care of 8675309«, das erste Stück auf »FLOTUS«, ist knapp zwölf Minuten lang und hält sich in Sachen Beats und Elektronik noch zurück; ganz der akustisch-elegische Lambchop-Sound. Erst in den folgenden Liedern beginnt es zu knistern und zu klopfen; bei »JFK« sirrt es nervös und eckig. In »Old Masters« klingt Wagners Vocoderstimme wie ein zerbeultes Blasinstrument; in »Harbour Country« begleitet ein kleiner Pianolauf die Samples.
Das großartige Finale bildet das 18 Minuten lange »The Hustle« mit einem langen, beiläufig dahinpluckernden Intro, in das sich immer mehr Melodienbruchstücke mischen, um sich anschließend zu verdichten. Kurt Wagner singt davon, dass er seine Ehefrau nie verlassen werde, vom Regen wie im Film und von der Sonne hinter dem Nebel. Zu dieser Dämmerungsmusik möchte man, wie Wagner selbst, rauchend in Nashville auf einer Veranda vor dem Haus sitzen, die Straße hinunterblicken und der Welt zuhören – den Vögeln in den Bäumen, Kinderstimmen von nebenan, Radiofetzen aus vorbeifahrenden Autos, dem Geräusch von fernen Zügen.
Lambchop »FLOTUS«, City Slang / Universal
Konzerte am 17. Februar 2017 im Dortmunder Konzerthaus und am 21. Februar 2017 im Gloria, Köln.