Das als »Kraftwerk der Gefühle« bezeichnete Musiktheater setzt seine Energien bekanntlich nicht nur für die Verarbeitung gewichtiger Rohstoffe ein. Auch das Leichtsinnige will musikalisch angereichert werden. Dank Woody Allen wissen wir, dass Komödie nichts als »Tragödie plus Zeit« ist.
Mit den Türkenopern ist es ein eigen’ Ding: das Sujet vom Konflikt der Kulturen war zu Zeiten beliebt, verhandelte es doch spielerisch eine reale, später nur noch gefühlte Bedrohung. Dabei ging es auf der Bühne zumeist alles andere als politisch korrekt zu, obzwar heiter verharmlost. Der Kitzel des Inkorrekten verbunden mit dem Appeal des Exotischen sorgt für eine Renaissance der Türkenopern, wenngleich nicht immer neu durchlüftet.
In Düsseldorf gab Intendant Tobias Richter mit Rossinis weniger bekanntem »Dramma buffo per musica» – »Il turco in Italia« der boulevardesken Situationskomik in der Tradition der Commedia dell’arte nach. An der Rheinoper, die mit Mozarts »Entführung« und »L’italiana« nun ein Sortiment des Genres im Repertoire hat, ist der Abend in Koproduktion mit Lausanne (dort schon 2006 zu sehen) und Toulouse entstanden. Eine Dreiländer-Konstellation, die sich auf die Produktion als Gefälle unterschiedlicher Sehgewohnheiten auswirkt.
Rossini hat seinem »Türken«, dessen Plot den der zuvor entstandenen »Italienerin« spiegelt, eine Meta-Ebene eingezogen. Der Dichter Prosdocimo beobachtet und steuert als Spielleiter das turbulente Geschehen. Eine selbstreflexive Distanz, die dieser Oper über die Oper eingeschrieben ist, wird in Richters handwerklich sauberer Inszenierung nicht weiter verfolgt. Die Handlung wird ins Italien der 1950er Jahre verlegt, was dem Ausstatter Gian Maurizio Fercioni Gelegenheit gibt, die Damen mit wippenden Petticoats und mondänen Brillen auszustatten. Adria-Flair stellt sich ein, sorglose Ferienstimmung. Spielort ist ein klassizistisch anmutendes Café, ähnlich dem Foyer eines Grandhotels mit emsig kreisender Drehtür und elegant lang gestrecktem Tresen, der unablässig vom hinzu erfundenen Barkeeper Harald gewienert wird. Prosdocimo (Bruno Taddia) lümmelt an der Bar und tüftelt an der Ferien-Oper, die sich vor seinen Augen vollzieht.
Rossinis Original-»Zigeuner« verwandeln sich in fotografierende Touristen. Der Türke Selim (Tomasz Konieczny mit forcierter Riesen- Stimme) kommt im Clubsakko mit Goldkettchen geschäftlich daher, der alternde Geronio (grandios Alberto Rinaldi), dem Selim die Gattin Fiorilla ausspannen will, trägt Netzunterhemd. Hinzu treten Rivalen, die ebenfalls als Buffo- Typen skizziert, aber nicht in ihren Konfliktzonen erfasst und gestaltet werden. Es bleibt angenehm gute, bisweilen ironisch zugespitzte Unterhaltung, die mehr nicht sein will. Musikalisch überzeugen vor allem die Sänger, allen voran die fulminante Marlis Petersen als Fiorilla mit blitzenden Koloraturen und gelenkigen Höhen. Im Orchester wackelte einiges; zu-dem könnte der Dirigent Alexander Joel am Moussieren des Klangs noch arbeiten. Schmeichelnder Wohlfühl-Sound, schmissiger Swing, eine tadellose Orchesterleistung lässt sich der Neuen Philharmonie Westfalen im Musiktheater im Revier attestieren, wo Kaj Tietje die deutsche Erstaufführung von George Gershwins »Strike up the band« durch eigene Neu-Arrangements dem Haus anpasste. Schon in der Ouvertüre, in der eine sich in die Höhe schraubende Klarinette an »Rhapsody in Blue« erinnert, wird deutlich, wie groß der Abstand zur Konfektionsware eines Andrew Lloyd Webber doch ist. Der scheidende Intendant Peter Theiler hat dafür gesorgt, dass das MiR eigenen Stil ausbildete. Großteils wird die Besetzung aus dem eigenen Ensemble bewältigt, was andernorts misslingt. Anke Sieloff, Joachim Gabriel Maaß und Eva Tamulénas treffen nicht nur den Tonfall genau, sie sind auch nicht auf jenen mechanischen Routine- Charme abonniert, die Muscial-Profis häufig sehen lassen.
Die Handlung, zu der Bruder Ira Gershwin die Songtexte und Marx-Brothers-Texter George S. Kaufman das Buch schrieb, ist eine skurrile Farce. Der amerikanische Cheese-Producer Horace J. Fletcher (Vorbild war ein gewisser Herr Kraft) sieht seinen Profit bedroht, denn die Schweiz protestiert gegen hohe Einfuhrzölle auf Käse. Für ihn eine Provokation und Anlass für eine kleine kriegerische Intervention. Ein »Auslandseinsatz « der Army wird vorbereitet, in zeitgemäßer Public Private Partnership. Der Großindustrielle trägt die Kosten und kassiert dafür alle Rechte, inklusive des Labels: Horace-J.- Fletcher-Gedächtniskrieg soll der Feldzug heißen. Die Schweizer ihrerseits sehen den Krieg nicht minder als Business, arrangieren auf dem Schlachtfeld Erlebnisreisen mit allen Annehmlichkeiten heimischen Hotelgewerbes.
Höherer Unsinn also, mit Steilvorlagen, um transatlantischen Hurra-Patriotismus und eidgenössische Beharrungsfolklore zu bespötteln. Nebenher laufen Love Stories, Chor-Aufmärsche und Schindowski-Ballett-Einlagen. Melissa Kings temporeiche Choreografie mischt geschickt die Tanz-Kompetenzen, hat ein paar witzige Step- Nummern erfunden und hält das Ganze tüchtig auf Trab. Die kuriose (durch reimende Eindeutschung nicht verträglichere) Mischung aus Polit- Revue und Entertainment bleibt letztlich heikel, obwohl Regisseur Matthias Davids sich direkte tagespolitische Anspielungen verkneift. Ein Cheeseburger in gut deutscher Hausmannskost.