Hände in Handschuhen gleiten glänzende Beine hinab. Finger, die künstliche Schultern streicheln. Arme in hautengem Trikot umfassen die Schaufensterpuppe aus Fiberglas, als wollten sie eine Reaktion herausfordern. Louisa Clements Videos befremden, weil sie Zwischenmenschliches andeuten, das es nicht geben kann. Weil sie von Gegenseitigkeit handeln, die ausgeschlossen scheint. Sie beschreiben ein Paradoxon, das alltäglich geworden ist.
Die Künstlerin kommt auf Online-Datings zu sprechen, bei denen man sich womöglich verliebt in etwas, das nicht wirklich ist. Weil die Person mit all ihren Facetten gar nicht vorhanden sein kann im Digitalen – bestimmte Bewegung etwa, ein Gesichtszug, ein Tick, Dinge, die den Einzelnen erst interessant und lebendig machen. Es ist eines ihrer großen Themen: Das Individuum, sein Körper, seine Gefühle in digitalen Zeiten, die mit rasant wachsenden technischen und medizinischen Möglichkeiten auch immer mehr übergreifen auf die eigentlich ureigenen Eigenschaften und Fähigkeiten des Menschen.
»Was ist das eigentlich, wenn man sich per SMS Herzchen und Küsschen hin und her schickt. Wie authentisch ist eine solche Kommunikation?«, fragt sie. »Was ist das, wenn mein Avatar deinen trifft? Ganz sicher nicht dasselbe, wie wenn wir hier gemeinsam am Tisch sitzen.« Mit ihren Überlegungen bewegt sich die 31-Jährige meistens mitten im Hier und Jetzt. Und immer wieder versteht sie es dabei, das intellektuell Wesentliche auf den Punkt zu bringen in ihren noch dazu ästhetisch sehr verführerischen Arbeiten. Es hat zweifellos seinen Grund, dass Clement seit einiger Zeit schon so erfolgreich ihre Kreise zieht im Kunstbetrieb. Stipendien und Ausstellungen hier und dort.
Nicht einmal fünf Jahre sind seit dem Studienabschluss an der Düsseldorfer Kunstakademie vergangen, da stemmt sie ihre erste große Überblicksschau, die jetzt im Sprengel Museum in Hannover läuft und ab September im Aachener Ludwig Forum. Nebenher sind Arbeiten von ihr im Kunsthaus NRW in Kornelimünster, in Frankfurt, Brüssel und Leverkusen zu sehen. An diesem Abend noch will sie Ausstellungseröffnung in Ratingen feiern, denn auch dort beteiligt sie sich mit einer größeren Werkgruppe.
Da ist es ein Glück, dass man die Künstlerin vorher im Bonner Atelier antrifft, wo sie auch wohnt. Zusammen mit ihrem Sohn, der seine Lego-Raumschiff-Flotte in Regalen und unterm Schreibtisch geparkt hat. Im hübschen Anwesen am Berghang leben vier Generationen zusammen, bemerkt Clement am Rande. Vom Neunjährigen bis zu seiner Urgroßmutter. Ebenfalls hier zu Hause sind Louisas Eltern, die Mutter hat eine Galerie, der Vater arbeitet als Journalist.
Sie selbst hatte sich eigentlich fest vorgenommen, Malerin zu werden. Mit 18 ist sie zum Studieren nach Karlsruhe gezogen, musste sich mit 21 aber eingestehen, dass daraus nichts werden kann. Viel besser lief es in Andreas Gurskys Klasse für freie Kunst in Düsseldorf, wo sie bald mit Handyfotos das erreichte, was sie mit Farbe und Pinsel nicht geschafft hatte. Im Laufe des Studiums habe sie natürlich auch gelernt, mit einer »echten Kamera« umzugehen. Doch sei ihr das iPhone oft lieber, auch weil es besser zu ihrem Konzept passe. »Ich fotografiere im Stadtraum, und für mich ist es wichtig, dass die Bilder aus dem Leben kommen.«
Gesichtslose Schaufensterpuppen
In den Auslagen von Modeläden fand sie denn auch die Motive ihrer Abschlussarbeit. Clement »porträtierte« gesichtslose Schaufensterpuppen. Eine »krasse Entwicklung« sei das. Früher einmal hätten diese Puppen tatsächlich Ausdruck gehabt, heute sei alles neutral. Für Clement war es die erste Serie, in der es um Identität in der heutigen Zeit geht. Ausgangspunkt der Überlegungen waren dabei biometrische Passfotos und die Fragen: »Wie neutral musst du gucken, und bist du das dann überhaupt noch auf dem Foto?« Es folgte eine Bildserie mit Gliederpuppen, die mit Heinrich von Kleists Erzählung »Über das Marionettentheater« zu tun haben. Der dort geäußerte Gedanke, dass die Puppe den Menschen beim Tanz übertreffen könne, interessierte Clement deshalb so sehr, weil sie Parallelen zur künstlichen Intelligenz erkannte, die bisweilen ja auch mit der menschlichen konkurriert.
Man kann sicher sein, dass ihre anziehenden Bilder niemals sich selbst genügen. Auch wenn Clement tonnenweise schwarz-glänzende Glasschlacke in den Ausstellungsraum kippt, hat sie keinesfalls nur die überwältigende Wirkung im Auge. Die Installation hat es buchstäblich in sich. Und zwar entschärftes Sarin, das in der schönen Schlacke gebunden ist. Das einst in Deutschland erfundene Nervengift habe in Syrien hunderte Menschen getötet. Man glaubt Clement gern, wenn sie sich lächelnd als »fanatische Zeitungsleserin« beschreibt.
Die Info aus zweiter Hand reicht ihr aber oft nicht als. Als sie begann, sich mit dem Krieg zu beschäftigen, reiste die Künstlerin sogar in den Libanon ganz nah an die Grenze. Musste aber kapitulieren: »Das war nicht meine Geschichte«. Sie könne nicht zwei Wochen vor Ort recherchieren und anschließend so tun, als verstehe sie, was dort passiert. Um authentisch zu bleiben, hat Clement deshalb ihre Spurensuche daheim in Deutschland fortgesetzt, ist schnell auf all die Waffen gestoßen und hat sie mit fotografischen »Waffenporträts« in Szene gesetzt.
Die Fotografie bleibt wichtig. Doch legt Clement sich nicht fest auf das eine Medium. Fotos, Filme, Installationen – was am besten zum Thema passt, ist entscheidend. In Hannover hat sie einen ganzen Raum ausgekleidet mit künstlicher Haut, die von einem US-Unternehmen entwickelt wurde und es möglich machen soll, dass man an einer Prothese Schmerz empfindet.
Auf der Überholspur
Auch mit der VR-Brille und künstlerischer Intelligenz hat sie jüngst experimentiert. Im Sprengel Museum sitzen Bots in Gestalt von Gliederpuppen gesprächsbereit am virtuellen Tisch. Es sei ganz erstaunlich, wie schnell sie in der Unterhaltung mit den Besuchern fortwährend dazulernen. Was bei Clement an Ideen, Bildern, Projekten, Ausstellungen zusammenkommt in gerade mal fünf Jahren, könnte einen schwindelig machen. Wie aber fühlt sich die Künstlerin selbst auf der Überholspur? Ein bisschen stolz wirkt sie schon, darüber dass alles so gut und glatt läuft. Aber es macht sie auch nachdenklich: Die Geschwindigkeit sei nicht nur positiv. »Schließlich muss ich auch mit der Arbeit hinterher kommen.«
»Louisa Clement: Remote Control«, Sprengel Museum, Hannover, bis 10. Juni 2019, http://sprengel-museum.de/
danach im Ludwig Forum, Aachen, 27. September 2019 bis 26. Januar 2020
Weitere Gruppenausstellungen mit Louisa Clement in NRW:
»Next Generations«, Museum Morsbroich, Leverkusen, bis 5. Mai 2019, http://museum-morsbroich.de/
»Büro Komplex«, Kunsthaus NRW, Kornelimünster-Aachen, bis 28. April 2019
»Who’s afraid of Bauhaus«, Museum Ratingen, bis 12. Mai 2019, http://www.stadt-ratingen.de
Auf der Art Cologne präsentiert die Berliner Wentrup Gallery ihre Arbeiten, 11. bis 14. April 2019, http://artcologne.de/