TEXT: ULRICH DEUTER
Die Hand der Künstlerin tuscht Schriftzeichen auf einen weißen Block. Es sind die Zeichen des sogenannten Herz-Sutras, einem Konzentrat der Lehre Buddhas, dessen Kernsatz lautet: »Form ist Leere, Leere ist Form«. Der kleine Film ist schwarz-weiß und unprätentiös, im Zeitraffer springen die chinesischen Silben auf den hellen Untergrund, dann sind Ober- und Seitenflächen vollständig beschrieben. Die Hand verschwindet, die Zeit rast, Fliegen kommen, der Block sinkt schrumpfend in sich zusammen, bis nur eine schmuddelige Lache übrig ist. Der Träger der Weisheit des Erhabenen war Tofu, Sojamilchquark – Form, die Leere wird.
Mit dieser filmischen Dokumentation, in einer Koje im Museum Bochum als Endlosschleife zu sehen, hat sich die taiwanische Künstlerin Charwei Tsai keineswegs eine blasphemische Albernheit gestattet, sondern befindet sich auch anfangs des 21. Jahrhunderts trittsicher in »Buddhas Spur«, wie die Bochumer Ausstellung betitelt ist. Und fest in uralter buddhistischer Tradition – wie ein jahrhundertealtes kleines Rollbild gleich um die Ecke beweist, das ebenfalls ein kalligrafiertes Stückchen Tofu erkennen lässt. Schließlich klären in einem großen, mit Tatami-Matten ausgelegten Museumsraum mächtige Schriftzeichen auf einem Kakemono auf, was es mit dem nach nichts und damit nach allem schmeckenden Pflanzenquark für Buddhisten auf sich hat: »Sojabohnen lassen sich formen / Zu einem weichen Viereck«, heißt es da. Und weiter: »Auch Menschen sollten / Genauso geschmeidig sein.« Das Rollbild stammt von 1857, aus der Hand des 435. Abts des Daitoku-ji-Tempels in Kyoto.
Diese historischen Kunstwerke – neben den Tuschbildern vor allem wunderbare Buddha-Köpfe und -statuen ab dem 2. nachchristlichen Jahrhundert, meist aus Privatsammlungen und damit selten gezeigt – geben die uralte Folie ab, auf der die Arbeiten zeitgenössischer, in der buddhistischen Kultur aufgewachsener Künstler erst ihre Wirkung entfalten. Den Beweis antreten, dass Ikonografie, Lehre und Praxis des Buddhismus für die aktuelle asiatische Kunst einen weit stärkeren Anreiz zur Auseinandersetzung bieten als die christliche für die westliche. Elf Künstler werden in Bochum gezeigt: aus Thailand, Taiwan, Tibet, Japan, China und Korea. Aus diesem Land stammte Nam June Paik, der hier mit den meisten Arbeiten vorkommt, aber weniger als Video-Pionier und Fluxus-Aktivist, denn als Zeichner, Collagist und ironischer Kalligraf, der die Lehre der Leere nicht nur im Rauschen der Bildröhre, sondern auch im Weiß des Papiers wiedererkennt und dessen ironischer Kommentar zum traditionellen Tuschbild eines ist, das er mit der Krawatte kalligrafiert hat.
Dito ironisch und doch suggestiv das elektrische Mandala, das die Koreanerin Kimsooja aus Teilen einer Jukebox gebaut hat; witzig und zugleich grimmig wie die unzähligen Geister des tibetischen Buddhismus die 365 Figurinen aus Geldschein-Papiermache, mit denen der Thai Kamin Lertchaiprasert ein Jahr der Meditation dokumentiert. Kritisch hingegen die Buddha-Köpfe, die der Taiwanese Long-Bin Chen aus gestapelten New Yorker Telefonbüchern herausgefräst hat: aus Grimm über die Buddha-Verwurstung in jedem Gartencenter. Und doch haben diese Arbeit eine spirituelle Seite: wie da in Buddhas Kopf tausende von Namen, Individuen verborgen sind …
Den Anfang der Ausstellung, die in Kooperation mit der Ruhrtriennale entstand, markiert ein steinerner »Fußabdruck Buddhas« aus dem Gandhara-Reich des 1./2. Jahrhunderts: Zeichen der An- wie der Abwesenheit des Erleuchteten. Am Ende der Ausstellung lässt ein Großfoto in die leere Nische von Bamiyan blicken: auch eine Spur Buddhas, dessen riesige Statue die Taliban pulverisierten. Jetzt allerdings fragt man sich, ob dieses Nichts in der Nische nicht der Lehre von der Leere die angemessenere Form verleiht …
Bis 13. Nov. 2011. 0234/910-42 30. www.bochum.de/museum