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Literatur
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Foto: Daniel Frese/pexels

Buch des Monats: »Stadt der Feen und Wünsche«

Text: Sascha Westphal
15. Jun. 2018
Foto: Daniel Frese/pexels

In Leander Steinkopfs Debüterzählung streift ein Flaneur durch Berlin und findet sein Glück im Scheitern.

Wer kennt nicht die Sehnsucht, anders oder gar einzigartig zu sein. Das ist das große Versprechen der Werbung wie der Popkultur. Suche dir eine Nische, einen Stil, schon kannst du dir deiner Individualität sicher sein. Ähnliches verheißen die großen Städte, und keine deutsche Metropole verspricht den Hoffnungsfrohen und Erwartungsvollen mehr als Berlin. Ihr Sirenenruf ist unwiderstehlich für alle, die glauben, »auf dem Land, in der Kleinstadt, werde man immer um seine Zeit betrogen«. Leander Steinkopfs namenlos bleibender Erzähler ist einer dieser Verlockten. Wie groß müssen seine Illusionen und Träume gewesen sein, als er nach Berlin kam, wie wenig ist von ihnen übrig geblieben.

Vordergründig liest sich die schmale Erzählung des 1985 geborenen Evolutionspsychologen und Journalisten wie eine Abrechnung mit der deutschen Hauptstadt und ihren Mythen. Als Spaziergänger und U-Bahn-Passagier ohne Ziel zieht es Steinkopfs vermutlich etwa 30-jährigen Erzähler von einem Stadtteil zum nächsten. Dabei entdeckt er fast nur Lügen und Verfall. Seine Mitmenschen gehen ihm auf den Geist, vor allem wenn sie Rad fahren oder mit ihren dressierten Kindern unterwegs sind, »die nur so lange frech sind, wie es süß ist«. Die einen »verpesten die Umwelt mit ihrer Vorbildlichkeit«, die anderen erregen mit der »Art, wie sie in Mitte mit den Kindern alles richtig machen«, seinen Ekel.

Das alles klänge blasiert und wohlfeil, würde er nicht noch viel härter mit sich selbst ins Gericht gehen. Wenn das Erzähler-»Ich« die anderen seziert, ihre Schwächen aufdeckt und sie des Selbstbetrugs bezichtigt, meint er auch sich selbst. Jedes spöttische Bonmot über die Hipster in Neukölln und die »geglückten Berlin-Mitte-Existenzen« ist ein Versuch, sich zu distanzieren und einzigartig zu fühlen. Doch letztlich wendet er seinen Blick doch auf sein eigenes Scheitern. »Unverstanden fühle ich mich besonders, aber verstanden ist meine Verzweiflung Massenware, wie sie in jedem Kneipengespräch verramscht wird.«

In dem schonungslosen Selbstporträt steckt mehr als nur das Eingeständnis der eigenen Lächerlichkeit. Zugleich erteilt Steinkopf raunend-romantischer Sehnsucht nach Bedeutung, der Simon Strauß in seinem Romandebüt »Sieben Nächte« huldigt, auf angenehm beiläufige Art eine deutliche Absage. Große Taten und rauschhafte Intensität sind nur andere Irrwege. Keine Alternative. Also verkündet der Erzähler: »Und noch an jedem Tag, an dem ich Großes vorhatte, habe ich es gleich am Morgen sein lassen.« Dieser sympathische Lebensgrundsatz spiegelt sich in jeder Szene des Buchs. Es ist eben nicht die Abrechnung mit Berlin und unserer Zeit, sondern ein demokratisches Sammelsurium kleiner, präziser Alltagsbeobachtungen. Die schneidend sarkastischen drängen sich zunächst in den Vordergrund. Doch in Erinnerung bleiben Steinkopfs liebevolle Beschreibungen all derer, die wie die »Netto-Verkäuferinnen« einfach irgendwie den Alltag meistern.

Leander Steinkopf: »Stadt der Feen und der Wunder«, Hanser Berlin, Berlin, 2018, Roman, 112 Seiten, 16 Euro

Lesung am 22. Juni in einer Privatwohnung in Köln (Literaturhaus Köln), weitere Informationen unter http://literaturhaus-koeln.de/event/
unterwegs-mit-leander-steinkopf/


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