»Warum muss es überhaupt Menschen geben, die so sind?« Dieses Zitat von Jürgen Bartsch, der sich an vier Jungen verging und sie hinterher ermordete, stellt Heinz Strunk seiner Geschichte voran, in deren Mittelpunkt ein nicht weniger prominenter Triebtäter steht: Fritz Honka. In den 1970er Jahren zerstückelte der Hilfsarbeiter in Hamburg vier Frauen und entsorgte die Leichenteile in Müllsäcken, die er teils in seiner Wohnung versteckte. Als die Überreste dann durch Zufall bei einem Feuerwehreinsatz gefunden wurden, konnte die Öffentlichkeit gar nicht genug bekommen vom »Blaubart aus Altona«. Doch große Schlagzeilen lassen den Abgrund, von dem sie zu handeln scheinen, eher verschwinden, als dass sie ihn ausmessen. Heinz Strunk lotet ihn in »Der goldene Handschuh« gut vier Jahrzehnte nach den Taten mit einer Unerschrockenheit aus, die den Leser fortwährend schaudern lässt.
Fiete, so nennen sie Honka in seiner Stammkneipe »Zum goldenen Handschuh«, einer 365 Tage und 24 Stunden am Tag geöffneten Endstation für Existenzen, die auf der abschüssigen Bahn ihres Daseins ganz unten angekommen sind. Hinten sitzen die »Schimmligen«, am ›lebendigen Leib verrottende Huren‹, vorne, am Tresen, trinken sich Soldaten-Norbert und Fanta-Rolf ihr Leben erträglich. Aus der Musikbox säuseln Adamo und Heintje den Soundtrack zum hoffnungslos beschädigten Leben. In dieser Kaschemme reißt Honka, selbst »zerprügelt, zerschunden und zermösert«, seine Frauen auf. Zahnlose, Omas, »Tripperschicksen«, denn wählerisch darf er nicht sein. Meist reicht schon die Aussicht auf eine Nacht in seiner beheizten, nach Verwesung riechenden Wohnung und ein bisschen Fanta-Korn, um die obdachlosen Gelegenheitsprostituierten abzuschleppen.
Strunk kontrastiert dieses in seiner Trostlosigkeit nicht mehr zu steigernde Dasein mit dem Leben einer alteingesessenen Reeder-Familie. Doch die kurzen Episoden fungieren nicht als plakativ-kritischer Kontrapunkt. In den gehobenen Etagen der Hamburger Gesellschaft ist das Leben genauso kaputt und krank wie im sozialen Sperrbezirk. Sexuelle Not, Sadismus und verschwitzte Geilheit finden sich hier wie da, während die gefühlte emotionale Temperatur dieses Romans immer weiter unter den Gefrierpunkt sinkt.
Heinz Strunk schildert dieses Milieu der Daseinsgescheiterten aus der Binnenperspektive – und es ist kein kleines Wagnis, Dumpfheit so zur Sprache bringen zu wollen. Strunk aber gelingt dieses Kunststück, indem er seinen Figuren eine Art konzentriertes St. Pauli-Rotwelsch in die lallenden Münder legt – obszön, vulgär, brutal und menschenverachtend. Grandios und streckenweise doch kaum zu ertragen ist diese beredte Fühllosigkeit, die Strunk mit scharfem Besteck herauspräpariert. Überhaupt hängt einem die Lektüre dieses beklemmenden Romans lange nach. Roher ist die Existenz schon lange nicht mehr geschildert worden. Ein deprimierendes, großes Buch.
Heinz Strunk: »Der goldene Handschuh«, Rowohlt, Reinbek 2016, 256 S., 19,95 Euro
Lesungen am 31. März im Forum, Bielefeld, am 13. April im Cineplex, Münster, am 14. April im Zakk, Düsseldorf, am 20. Mai im Bahnhof Langendreer, Bochum, und am 27. Mai im Gloria, Köln.