Ja, die Bochumer Symphoniker haben Glück mit ihrem neuen Generalmusikdirektor Tung-Chieh Chuang. Er schreibt ihre Erfolgsgeschichte fort. Aber wer das Orchester einmal so richtig entfesselt erleben möchte, der sollte zu einem seiner Konzerte in der Reihe »Bosy Pur« ganz ohne Dirigent gehen. Unter der musikalischen Leitung des Konzertmeisters Raphael Christ entfalten sie ungeahntes Potential.
Ungeahnt war das große Potential ihrer Spielfreude auch wegen des Titels des aktuellen Programms: »Klassiker in Moll« war der Abend im großen Saal des Musikforums Bochum überschrieben. Da erwartete man getragene Stimmung, Melancholie, Schwere. Doch nichts dergleichen sollte dieses Konzert bestimmen. Wie bei diesen Programmen üblich spielten die Musiker im Stehen und bewiesen schon beim ersten Stück »Fuga e Grave g-Moll für Streicher« ein grandioses Gespür für Tempo, Timing und Akzente.
Das Werk, über das kaum etwas bekannt ist, noch nicht einmal, ob es wirklich vom spätbarocken Komponisten Johann Adolf Hasse stammt, trägt eine starke Spannung und für seine Zeit ungewöhnliche Wucht in sich. Hier war schon schön zu beobachten, wie Raphael Christ seine Leitungsfunktion übernimmt: Während er die erste Geige spielt, kommuniziert er per Augenkontakt, Körperspannung, kleinen oder größeren Bewegungsimpulsen oder in eigenen Spielpausen mit seinem Bogen als Taktgeber mit dem Rest des Orchesters.
Wild und strahlend
Auch Joseph Haydns Symphonie Nr. 39, ebenfalls in g-Moll, geriet so zum überraschenden Ereignis. Sie stammt aus seiner Zeit als Vize-Kapellmeister beim Fürsten Nikolaus I. Esterházy, in der Haydn Freiheiten und Mittel zum Experimentieren mit einem eigenen Orchester hatte. Die Symphonie ist wild und so düster wie strahlend, schon der erste Satz überrascht mit effektvoll eingesetzten Generalpausen, in denen die Musiker wirken, als müssten sie erst einmal überlegen, wie es weitergeht. Wie es dann weitergeht, ist stets fulminant. Eine tolle erste Hälfte!
In der zweiten wurde der brillant aufspielende Klangkörper noch um den österreichischen Pianisten Till Fellner ergänzt. Beim Gang auf die Bühne wirkte er vielleicht noch etwas blass und müde. Doch schon die ersten Töne nach der langen Orchestereinleitung ließen erkennen: Er hat Beethovens 3. Klavierkonzert (natürlich in c-Moll) so sehr verinnerlicht, dass es ihm aus den Fingern fließt wie die natürlichsten Lebensäußerungen. Bis zum finalen Allegro, in dem es unter anderem einen wüsten Dialog des Klaviers mit der Pauke gibt, hört das Publikum im vollen Saal atemlos zu – und klatscht am Ende begeistert zur Zugabe.
Bei Schuberts 4 Impromptus meint man irgendwann, das Orchester mitspielen zu hören, so farbig und vielgestaltig ist sein Spiel. Dabei hören die Musiker*innen selbst gebannt zu. Ein denkwürdiger Abend.